120
X. Die Völkerwanderung,
378 Adrianopel eine Niederlage, in der er selbst den Tod sand. Valens'
Nachfolger Theodosius schloß mit ihnen Frieden und überließ ihnen
Thrazien, wo sie unter ihren Stammfürsten nach eigenen Sitten
und Einrichtungen, jedoch unter kaiserlicher Oberhoheit lebten.
Theodosius war der letzte Kaiser, welcher das ganze römische
Weltreich beherrschte. Vor seinem Tode verfügte er, daß seine beiden
Söhne sich in das Reich teilen sollten. Dem achtzehnjährigen
Arcadius fiel das Morgenland zn, während der elfjährige Honorius
395 das Abendland erhielt. Damit war eine Teilung des römischen
Reiches vollzogen. Die Jugend der beiden Kaiser machte die Füh-
rnng der Regieruugsgeschäftc durch andere nötig, ihre Unfähigkeit
konnte auch uach erlangter Mündigkeit fremder Leitung nicht ent-
6ehren. Während Arcadius im glänzenden Kaiserpalaste zu Kon-
stantinopel der üppigen Ruhe pflegte, leitete fcrer Gallier Rufiuus
und nach dessen Ermordung Eutropius das Ostreich; im Westen
herrschte im Namen des Honorius der kriegskundige und staatskluge
Vaudale Stiliko (Stilicho), dem regierenden Hause als Gemahl
einer Nichte des Theodosius verwandt, und bald nachher auch
Schwiegervater des Honorius.
Nur mit Unlust hatten die Westgoten das Schwert mit dem
Pfluge vertauscht. Als ihnen daher nach dem Tode des Theodosius
die bisher üblichen Geschenke vorenthalten wurden, griffen sie sofort
zu deu Waffeu, um ihren Unterhalt durch Plünderung der reichen
Provinzen und Städte des Südens zu suchen. An ihrer Spitze
stand jetzt Alarich, ein Mann, der einen kühnen, unternehmenden
Geist mit Kriegsgeschick uud kluger Berechnung der Umstände ver-
band. Ohue vou deu mutlosen Statthaltern Widerstand zu erfahren,
durchzog er plüuderud und verwüstend die griechische Halbinsel und
396 kam bis in den Peloponnes. Da eilte Stiliko, der Minister des
Westreiches, herbei und schloß die Goteu iu den Gebirgen Arkadiens
so ein, daß ihnen nur die Wahl zwischen einem verzweiflungsvollen
Kampfe und dem Hungertode zu bleiben schien. Allein Alarich be
nutzte die Sorglosigkeit im römischen Lager und führte seine Goten
nach Epirus zurück, Gefangene und Beute mit sich nehmend. Auf
dem Rückwege empfing er die Botschaft, daß ihn der oströmische
Kaiser zum Statthalter uud Obeberfehlshaber des östlichen Jl-
lyrien ernannt habe, desselben Landes, das er eben erst plündernd
durchzogen.
Kaum sah sich Alarich in seiner neuen Stellung befestigt, als
er beschloß, seine Waffen gegen Italien zu kehreu. An der Spitze
401 seines Volkes überschritt er die julischen Alpen, siegte bei Aqnileia
uud eroberte Jstrien und Venetien. Zwar überwand ihn
402 Stiliko bei Pollentia (in Piemout), aber trotz dieses Erfolges