das mächtige Schloß der Königin empor. Sie stand mit ihren
Jungfrauen am Fenster und sah das Schiff landen. Nach wenigen
Minuten ritten die kühnen Helden durch das geöffnete Tor.
Brunhild war in den Hof geeilt und fragte Siegfried, den sie
schon kannte, was er wünsche. Siegfried entgegnete, daß König
Gunther, fem Herr, gekommen sei, um sie im Kampfe zu erringen.
Sogleich begann Brunhild die Vorbereitungen zu den Spielen;
sie legte ihre kostbare Rüstung an und ließ die Waffen und den
Stein, den zwölf Männer kaum tragen konnten, herbeischaffen.
Mittlerweile hatte Siegfried die Tarnkappe aufgefetzt und ftand
nun unsichtbar neben König Gunther. Der Kampf begann. Zu¬
erst schleuderte die Königin ihren Speer mit solcher Wucht gegen
Gunthers Schild, daß die Spitze hindurchdrang und die beiden
Männer strauchelten. Doch schnell faßte Siegfried die Waffe und
warf sie noch kräftiger zurück, so daß Brunhild zu Boden sank.
Zornig sprang sie auf, ergriff den Stein, schleuderte ihn zwölf
Klafter weit und überholte ihn in kühnem Sprunge. Nun packte
Siegfried den Stein, warf ihn noch weiter und sprang mit König
Gunther auf den Schultern über das Ziel hinaus. Brunhild er-
klärte sich für besiegt, ordnete die Regierung ihres Reiches und
zog mit König Gunther in das Land der Burgunder.
In Worms wurde die junge Königin mit Pracht und großer
Herrlichkeit empfangen. Bald fand eine Doppelhochzeit statt. Bei
dem Mahle faß Brunhild ernst neben ihrem Gatten; sie zürnte
ihm, daß er feine Schwester Kriemhild einem Dienftmanne zum
Weibe gegeben hatte. Eines Abends kam es zwischen den beiden
Ehegatten sogar zu einem Streite; Brunhild wurde so ergrimmt,
daß sie Gunther niederwarf, ihm Hände und Füße band und ihn
schließlich an einen Nagel hing. Ungern versprach Siegfried, die
Königin noch einmal zu bekämpfen. Doch auf vieles Bitten
Gunthers fetzte er sich die Tarnkappe auf, schlüpfte mit Gunther
in Brunhildens Gemach und rang mit ihr, bis sie am Boden
lag und gelobte, in Zukunft gehorsam zu sein. Während des
Ringens nahm Siegfried den Gürtel der Königin und einen Ring
und schenkte beide Gegenstände seiner Gattin. Gunther und
Brunhilde lebten nun in Frieden. Siegfried aber führte fein
junges und schönes Weib in seine Heimat und übernahm die
Regierung des Landes.
b. Wie sich die beiden Königinnen stritten.
Zehn Jahre mochte Siegfried die Herrfchaft über fein Volk
ausgeübt haben. Da erschienen eines Tages Boten aus Worms
und luden zu einem großen Feste ein. Sogleich brachen Kriemhild
und Siegfried mit einem glänzenden Gefolge auf und wurden bei
ihrem Einzüge hoch gefeiert. Zehn Festtage gingen in ungetrübter