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die Auszeichnung den Prinzen nicht wegen seiner fürstlichen Ab-
Kunst, sondern lediglich wegen seines anhaltenden Fleißes und
seines guten Benehmens zuteil roM)e. Nun trat Prinz Wilhelm
in das Heer ein, um den praktischen Dienst aus eigener Anschau-
ung kennen zu lernen. Kaiser Wilhelm I. stellte ihn persönlich
den zukünftigen Vorgesetzten vor, ermahnte ihn, auf alles genau
zu achten, und entließ ihn mit den Worten: „Nun gehe hin und
tue deine Pflicht, wie man es dir zeigen wird!" Der Prinz be¬
herzigte die Worte seines Großvaters. Er wurde ein eifriger und
tüchtiger Soldat.
Noch in demselben Jahre wurde die militärische Ausbildung
unterbrochen. Der junge Prinz bezog auf zwei Jahre die Uni-
versität Bonn, um Geschichte und die Staatswissenschaften zu
studieren.
Am 27. Februar 1881 trat Prinz Wilhelm in den heiligen
Stand der Ehe. Er vermählte sich mit Auguste Viktoria
von Schleswig-Holstein-Augustenburg. Das ganze Volk
nahm Anteil an dem freudigen Ereignisse; aus allen Gauen des
Vaterlandes wurden dem hohen Paare Geschenke und Glück-
wünsche überbracht. Die Prinzessin war eine echt deutsche Frau.
Ihr edles und frommes Herz bewirkte, daß der Prinz in der
Ehe das Glück fand, das er erhofft hatte. Sie schenkte ihrem
Gemahl sechs Söhne und eine Tochter. Als Kaiser Wilhelm V.
die Geburt des ältesten Kindes, des jetzigen Kronprinzen Friedrich
Wilhelm, erfuhr, rief er freudig aus: „Hurra, vier Kaiser!"
Doch bald kam das Trauerjahr 1888; zwei Kaiser sanken
ins Grab. Kronprinz Wilhelm war noch nicht dreißig Jahre
alt, als er die Zügel der Regierung in die Hand nehmen mußte.
2. Kaiser Wilhelms II. Negierung.
Kaiser Wilhelm ist ein Fürst des Friedens. Bei der Er-
Öffnung des Reichstages erklärte er den Fürsten und den Ver-
tretern des deutschen Volkes: „Ich bin entschlossen, Frieden zu
halten mit jedermann, soviel an mir liegt. Deutschland bedarf
weder neuen Kriegsruhms, noch irgendwelcher Eroberungen."
Deshalb war er bestrebt, das deutsche Heer zum besten auf der
Welt zu machen. Die Schußwaffe wurde verbessert und die
ganze Reiterei mit Lanzen versehen. Zugleich galt es, alle
waffenfähigen Männer dem Dienste bei der Fahne zuzuführen.
Man suchte es dadurch zu erreichen, daß man bei der Infanterie
die dreijährige Dienstzeit in eine zweijährige umwandelte. Das
deutsche Volk begrüßte die Neuerung mit großer Freude. — Be¬
sondere Sorgfalt verwandte der Kaiser auf die Vergrößerung der
deutschen Flotte. Schon frühzeitig hatte er erkannt, daß Deutsch¬
land zum Schutze seiner Küste, seines Seehandels und seiner