§ 9. Die Sage von Gudrun.
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luste erlitten, als daß es die Feinde verfolgen konnte. So mußte
Herwig zu seinem größten Schmerze sie ziehen lassen.
3. Gudruns Leiden im Normannenland. Gudrun weigerte
sich standhaft, Hartmut zu heiraten. Dafür hatte sie von Berlinde,
Hartmuts böser Mutter, viel Schlimmes zu leiden. Sie trennte
Gudrun von ihren Freundinnen und zwang die Königstochter, Mägde-
dienste zu verrichten. Sie mußte die Öfen heizen und die Zimmer
fegen, ja mit ihrem Haar den Staub von den Geräten wischen.
Nur Hartmuts Schwester Örtrun zeigte der Armen ein mitleidiges
Herz. Aber lieber wollte Gudrun jede Erniedrigung dulden, als
ihrem Verlobten die Treue brechen. Nach drei Iahren fragte Hartmut,
ob sie ihn nun heiraten wolle. Sie schlug es wiederum ab. Da geriet
Gerlinde in Wut. Von nun an mußte Gudrun täglich zum Meeres¬
strand gehen und waschen; ihre treue Freundin Hildburg ging
mit ihr.
4. Der Hegelingen Heerfahrt ins Normannenland. In-
zwischen war die Macht der Hegelingen wieder erstarkt, so daß ein
Rachezug glücken konnte. Ein stattliches Heer segelte auf zahlreichen
Schiffen nach Normannenland. Ortwin und Herwig führten es an;
mit ihnen fuhr Ortwins tapferster Held, der alte Wate. Ein
Himmelsbote in Vogelgestalt verkündigte Gudrun die nahe Be¬
freiung, als sie mit Hildburg am Meeresstrande wusch.
Am nächsten Morgen war Schnee gefallen, und es wehte ein
eisiger Wind. Trotzdem zwang die böse Gerlmde die beiden Jung¬
frauen, barfuß und in leichtem Gewand am Strande zu waschen.
Da sahen diese einen Kahn mit zwei Männern herankommen. Er¬
schrocken wollten sie fliehen; aber freundlich baten die Fremden, sie
möchten doch bleiben. Es waren Ortwin und Herwig, sie kamen als
Kundschafter. Sie forschten nach Gudrun, ohne die Jungfrau zu
erkennen. Die Gesuchte antwortete, Gudrun sei schon lange vor Herze¬
leid gestorben. Bei diesen Worten brachen die Fremden in laute
Klagen aus. Da gab sich Gudrun zu erkennen. Jauchzend umfing sie
Herwig. Als Gudrun von Gerlindes Bosheit erzählte, wollte er
die Geliebte und Hildburg gleich mit sich nehmen. Doch Ortwin war
dagegen; nicht heimlich, sondern nur im offenen Kampfe wollte er
die geraubten Jungfrauen zurückgewinnen. So mußten Gudrun und
Hildburg noch einmal in die Königsburg der Normannen zurück¬
kehren. Zuvor aber warf Gudrun voll Stolz die Wäsche der Königin
ins Meer. Gerlinde wollte sie dafür mit Ruten peitschen. Da er¬
klärte sich Gudrun zur Heirat bereit. Sofort wurden sie und ihre
Jungfrauen in schöne Gewänder gekleidet und köstlich bewirtet.