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wächst, der sich immermehr verdickt, bis seine keulenförmige Gestalt zu einer 
mächtigen Blase anschwillt, auf welche ein dichter Büschel dünner, 50 Fuß 
langer Blätter hin und her schwankt. Ties sind die Palmen des Meeres. 
Und diese Waldung wächst rasch in etlichen Monaten empor, überwuchert 
weithin den Boden, welkt und schwindet, um bald auf's Neue aus dem Samen 
aufzusprossen. 
Durch diese Waldwiesen irren zackige Seesterne, rudern unförmliche Pott¬ 
fische, jagen gierige Haie nach spielenden Makrelen oder am Tange nagenden 
Seebarben, während ihnen selbst der flinke Pilot vorausschwimmt. Ruhig 
beobachtet die auf den Meerpalmen fich wiegende Meerotter, wo sie im Son¬ 
nenscheine ausruht, das Haschen, Fliehen und Kümpfen um sich her oder 
blickt sinnend hinüber nach den auf freien Stellen des Urwaldes weidenden 
Meerkühen und Walrossen. Auch der Mensch streckt seine begehrliche Hand in 
die Tiefen des Meeres. Ein stolz bewimpeltes Schiff bemüht sich, die losge¬ 
rissenen Tangwälder heimzuschleppen, um Soda und Jod aus der bromhalti¬ 
gen Tangasche zu bereiten oder die Korallen mit Lebensgefahr aus der Tiefe 
zu fischen. Der Bewohner der Normanoie schafft den angeschwemmten, ver¬ 
wesenden Tang meilenweit in's Land hinein, um seinen Acker zu düngen, und 
der Grönländer lebt den langen Winter über mit seinen Rinder- und Schaf¬ 
herden von Mehl- und Zuckertang, der ihm die fehlenden Getreidearten ersetzen 
muß. Wervermöchte es, die Wunder alle aufzuzählen, die das Dunkel der 
Meerestiefe verborgen hält! 
44. Bildung der Erdoberfläche. 
Wenn man mit einem Male das Meer ablaffen könnte, würde es auf 
seinem Grunde nicht viel anders aussehen, als auf vielen Stellen unserer 
Erdoberfläche. Wir würden da große, lange Sandslächen und Berge von Kalk 
und Gyps sehen, die sich aus dem Meerwasser gebildet haben, alle untermischt 
mit häufigen Muscheln und andern Seerhierüberresten. Wenn man unsere 
meisten Berge ansieht, bemerkt man gar leicht, daß auch sie in und unter einem 
großen Meere gebildet sind. Denn viele von ihnen sind ganz erfüllt von 
Muscheln und Seethierüberresten, und auf manchen Bergen von Neuholland, 
die sehr hoch sind und jetzt viele Meilen weit vom Meere landeinwärts liegen, 
sieht man noch jetzt Korallenbäumchen aufrecht stehen, und der ganze Boden 
sieht so aus, als wenn er plötzlich wäre vom Meere verlassen worden, von 
dem er einmal Jahrhunderte lang bedeckt gewesen war. Aber man braucht 
nicht so weit zu reisen, um etwas Aehnliches zu sehen. Auch in und auf un¬ 
sern Kalkbergen findet man Korallenarten und Muscheln, die nur im Meere 
gelebt haben und gewachsen sein können. Man sieht es manchen unserer Sand¬ 
gegenden an, daß da einmal lange Zeit hindurch Wasser darüber gesiuthet 
haben muß, und das Salz, das manches unserer Berge und Ebenen in sich 
führen, muß auch noch aus jener Zeit herrühren, wo ein salziges Meer da stand. 
Kieffer, Viertes Lesebuch. II. 19
	        
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