58 15. Kaiser Wilhelm II.
Hochgestellte Personen wandten sich nun an den Kaiser, damit er be-
wirke, daß der Prinz sein Verbot zurücknehme. Wirklich ließ der Kaiser
den Prinzen kommen und ersuchte ihn, jenen Herren zu Willen zu sein.
„Majestät," sprach Prinz Wilhelm, „bin ich noch Oberst des Re-
giments?" „Natürlich," sagte der Kaiser. „Dann gestatten Majestät,
daß ich meinen Befehl aufrecht halte oder ... daß ich mein Kommando
hiermit in Ew. Majestät Hände zurücklege." Dem Kaiser gefiel folche
Entschlossenheit, und er sprach: „O, davon kann keine Rede sein; wo
fände ich einen so guten Oberst wieder?" Den Bittstellern aber sagte er:
„Tut mir leid, ich habe es dem Obersten gesagt, aber er will nicht."
4. Kaiser Wilhelms Familienleben. Im Jahre 1881 vermählte
sich Prinz Wilhelm mit Auguste Viktoria, der Tochter eines
Prinzen von Schleswig-Holstein. Das hohe Paar führte ein glückliches
Familienleben. Sechs Söhne und eine Tochter sind ihnen geboren;
sie heißen: Wilhelm, Eitel Friedrich, Adalbert, August Wilhelm,
Oskar, Joachim und Viktoria Luise. Als der älteste Sohn, unser
Kroupriuz, geboren wurde (6 Mai 1882\ lebte der greise Kaiser
Wilhelm noch. Mit Freuden betrachtete man damals ein Bild, auf
dem vier Kaifer aus vier Geschlechtern des Hohenzollernhanses dar-
gestellt waren und das die Unterschrift trug: Hurra, vier Kaifer! Der
Kronprinz Wilhelm ist mit der Herzogin C e c i l i e von
Mecklenburg verheiratet; dieser Ehe sind bisher vier Söhne entsprossen.
Die Tochter des Kaisers, Viktoria Luise, ist mit dem Herzoge Ernst
August von Braunschweig verheiratet.
5. Kaiser Wilhelms Arbeitstag. Der Tod Kaiser Friedrichs
rief den Kronprinzen Wilhelm als Kaifer Wilhelm II. auf den
Thron (15. Juni 1888). Kaifer Wilhelm II. ist einer der fleißigsten
Fürsten, die es je gegeben hat. Er gehört zu den Frühaufstehern.
Bereits um 5 Uhr des Morgens steht er ans. Um 1h6 Uhr sind schon
die Adjutanten zur Stelle, mit denen er bespricht, welche Ausfahrten,
Besuche ufw. an dem Tage zu machen sind.
Um 6 Uhr begibt er sich in sein Arbeitszimmer, wo ganze Stöße
von Briefen, schriftlichen Berichten der Minister und der obersten Be-
Hörden liegen, die durchgelesen werden müssen. Dann kommen Beamte
des Hofmarschallamtes, mit denen der Kaifer etwaige Festlichkeiten und
Reisen bespricht, wer daran teilnehmen soll, wieviel Kosten entstehen,
welche Geschenke etwa mitzunehmen sind usw. Dann erscheinen
Minister, Räte und Generale, um dem Kaiser Vortrag über die ver-
schiedensten Verhältnisse zu halten und seine Unterschrift einzuholen.
Bis gegen 9 Uhr hat der Kaifer fchon foviel gearbeitet, wie mancher
vermögende Bürger kaum in einer ganzen Woche leistet. Erlaubt es
das Wetter, so macht der Kaiser jetzt eine Ausfahrt, an die sich häufig
ein ziemlich starker Spaziergang zu Fuß anschließt. Geht das nicht,
so begibt er sich nach der Reitbahn und reitet.
Finden Truppenbesichtigungen statt, so fällt die Ausfahrt fort,
da dann dem Kaiser Aufenthalt in frifcher Luft genügend zuteil wird.
Gegen 11 Uhr beginnen wieder die Beratungen, Vorträge und
Besuche. Es melden sich höhere Offiziere und Beamte, die neu ernannt