15. Kaiser Wilhelm II.
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worden sind; es erscheinen Seilte, die die Orden verstorbener Ver-
wandten wieder zurückbringen, auch Gesandte fremder Staaten und
Fürstlichkeiten kommen, und mit jedem spricht der Kaiser einige
Minuten. So geht es bis um 2 Uhr. Dann frühstückt der Kaiser, und
am Nachmittag geht die Arbeit weiter, bis um 7 Uhr die Hauptmahlzeit
genommen wird. Auch abends müssen häufig noch Arbeiten erledigt
werden. So ist der Kaiser den ganzen Tag unausgesetzt tätig.
Der Kaiser ist ein Freund des Seelebens, namentlich liebt er die
nordischen Küsten. Fast jedes Jahr fährt er mit seinem Schiff „Hohen-
zollern" dahin. Aber auch dann ruht der Kaiser nicht gänzlich von
den Regierungsgeschäften aus. Überall, wo fein Schiff in einen Hafen
einläuft, liegen Depeschen und Briefe für ihn.
6, Deutschlands Seemacht. Unter Kaiser Wilhelm II. ist Deutsch¬
land auch eine Seemacht geworden. Eine große Anzahl deutscher
Schisse fährt auf allen Weltmeeren, und stolz weht vom hohen Mast
die Flagge schwarz-weiß-rot. Viele Schiffe bringen uns Waren aus
fremden Ländern, wie Kaffee, Baumwolle, Tabak, Kakao, Gummi,
Kokosnüsse, Palmkerne n. a. Ein Teil dieser Waren wird auf deutschem
Gebiet in Afrika angebaut und gewonnen. Zum Schutze des über-
feeischeu Deutschlands und unserer Handelsflotte haben wir eine
starke Kriegsflotte, die noch eifrig vermehrt wird. Wilhelms-
Häven an der Nordsee und Kiel an der Ostsee sind unsere beiden Kriegs-
Häsen. Oft kommt auch der Kaiser hierher, um die Kriegsschiffe zu
besichtigen, und alljährlich hält er mit den Kriegsschiffen auf dem
Meere Manöver ab, wie mit dem Landheer zu Lande. Der Bruder
unseres Kaisers, Prinz Heinrich, ist der Befehlshaber der
deutschen Kriegsflotte; der ist Seemann von Beruf und hat schon
manche große Fahrt mit einem Kriegsschiffe gemacht.
Bei allen Völkern steht unsere Seemacht in hohem Ansehen.
Und daß deutsche Seeleute mit demselben Mute zu sterben wissen wie
die Soldaten in einem Kampfe zu Lande, haben sie am 23. Juli 1896
bewiesen. Dieser Tag ist für die deutsche Kriegsflotte ein Trauertag,
aber auch ein Ehrentag geworden. Am 23. Juli 1896 fuhr das kleine
Kriegsschiff Iltis an der chinesischen Küste hin. Den ganzen Tag
hindurch hatte ein heftiger Sturm geweht; gegen Abend aber tobte
er immer wütender und prasselte Schnee- uud Hagelschauer auf das
Schiff hernieder. Mit furchtbarer Gewalt schlugen die Wellen gegen
das Schiff. Um 1h\l Uhr nachts erschütterte ein heftiger Stoß das
Fahrzeug und gleich darauf ein zweiter: das Schiff war auf einen
Felfen geschleudert und saß darauf fest wie aufgespießt. Mit furcht-
barer Gewalt drang das Wasser durch das Loch im Schiffsboden und
füllte bald alle Räume. Wild schäumend rollten die Wogen über das
Deck des Schiffes und rissen alles weg, was sich darauf befand. Während
die Masten krachten und splitterten, die Wogen donnerten und der
Sturm heulte, tat die wackere Mannschaft des Schiffes nach Kräften
ihre Pflicht, um zu retten, was womöglich zu retten war. Hoch oben
auf der Kommandobrücke steht der Kapitän Braun und erteilt ruhig
und besonnen seine Befehle. Da plötzlich ein furchtbares Krachen und