206
B. Vom Westfälischen Frieden bis zur Gegenwart.
dem Neuen Palais bei Potsdam, bringen, und dort, wo er geboren
war, sollte er auch seinen Atem aushauchen. Seine Kräfte nahmen
mehr und mehr ab, und er hatte schwer zu leiden- aber er litt wie ein
Held. „Furchtlos und beharrlich", diesem seinem Wahlspruch ift
Kaiser Friedrich treu geblieben, sowohl im Gewühl der Schlacht als
auch auf seinem Schmerzenslager. Als Kronprinz Wilhelm traurig an
dem Krankenlager seines Vaters stand, der nicht mehr sprechen konnte
schrieb ihm dieser auf einen Zettel: „Lerne leiden, ohne zu klagen-
^1888 bQS ^ ba§ ein^9e/ was ich dich lehren kann!" Am 15. Juni
1888 verschied er sanft im Kreise seiner Lieben. Ganz Deutschland war
von der Trauerbotschaft erschüttert. Kaiser Friedrich, der große Dulder,
hat nur 99 Tage regiert. Innerhalb weniger Monate hat das deutsche
Volk zweimal seinen Kaiser verloren.
20. Kaiser Wilhelm II.; seit 1888.
1859 a) fugend und Familienleben. Unser Kaiser ist am 27. Januar
1859 als das älteste Kind Kaiser Friedrichs III. geboren. Mit un¬
ermüdlicher Sorgfalt überwachten die Eltern die Erziehung ihrer Kinder.
Vor allem sollte der Kronprinz lernen, eine wie große Verantwortung
ein regierender Fürst zu tragen, welche schweren Pflichten er zu er-
füllen habe. Deshalb sandten die Eltern ihn und seinen Bruder Hein-
rich gleich nach der Konfirmation auf das Gymnasium zu Kassel. Dort
wurden beide Prinzen gerade so behandelt wie die übrigen Schüler.
Nachdem Prinz Wilhelm die Abgangsprüfung bestanden hatte, studierte
er zwei Jahre auf der Hochschule in Bonn. Nach seiner Rückkehr zu den
Eltern suchte er sich diejenigen Kenntnisse zu erwerben, die er als König
und Kaiser zur Verwaltung des Landes besitzen mußte. Er nahm Unter-
richt bei den tüchtigsten Beamten und arbeitete auch selber mit Schon
seit dem zehnten Lebensjahre war er Offizier- jetzt trat er wirklich in
das Heer ein und tat Dienst wie jeder andere Offizier. So tüchtig
vorbereitet, konnte Prinz Wilhelm wiederholt seinen hochbetagten Groß-
vater und später seinen erkrankten Vater vertreten oder ihnen einen Teil
ihrer Arbeiten abnehmen.
Am 27. Februar 1881 vermählte sich Prinz Wilhelm mit Auguste
Viktoria von Schleswig-Holstein-Augustenburg, der Tochter des Her-
zogs Friedrich von Anguftenburg (S. 186). Sie ist am 22. Oktober
1858 aus dem Gute Dölzig in der Niederlausitz geboren,- als sie sechs
Jahre alt war, siedelte sie mit ihren Eltern nach dem Schlosse Prim-
kenau tu Schlesien über. Gleich bei ihrer Verlobung auf Schloß Babels-
berg und bei der Vermählungsfeier in Berlin gewann die Prinzessin