Full text: Für die Klassen III - I (Teil 3)

Brüder Grimm: Des kleinen Volkes Hochzeitsfest. Der Zwerg und die Wunderblume. 25 
sich unterstehen, das Fest mit anzuschauen, auch nicht mit einem einzigen 
Blicke!" Der alte Graf antwortete freundlich: „Weil ihr mich im Schlafe 
gestört habt, so will ich auch mit euch sein." Nun ward ihm ein kleines 
Weiblein zugeführt, kleine Lampenträger stellten sich auf, und eine Heimchen¬ 
musik hob an. Der Graf hatte Mühe, das Weiblein beim Tanze nicht zu 
verlieren, das ihm so leicht daher sprang und endlich so im Wirbel sich drehte, 
daß er kaum zu Atem kommen konnte. Mitten in dem lustigen Tanz aber 
stand auf einmal alles still, die Musik hörte auf, und der ganze Haufen 
eilte nach den Türspalten, Mauselöchern und wo sonst ein Schlupfwinkel 
war. Das Brautpaar aber, die Herolde und Tänzer schauten aufwärts nach 
einer Öffnung, die sich oben in der Decke des Saales befand, und entdeckten 
dort das Gesicht der alten Gräfin, welche vorwitzig nach der lustigen Wirr¬ 
schaft herabschaute. Darauf neigten sie sich vor dem Grafen, und derselbe, 
der ihn eingeladen, trat wieder hervor und dankte ihm für die erzeigte Gast¬ 
freundschaft. „Weil aber", sagte er dann, „unsere Freude und unsere Hochzeit 
also ist gestört worden, daß noch ein anderes menschliches Auge darauf ge¬ 
blickt hat, so soll fortan Euer Geschlecht nie mehr als sieben Eilenburger 
zählen!" Darauf drängten sie nacheinander schnell hinaus; bald war es still, 
und der alte Graf war wieder allein im finstern Saale. Die Verwünschung 
ist bis auf die gegenwärtige Zeit eingetroffen und immer einer von den sieben 
lebenden Rittern von Eilenburg gestorben, ehe der achte geboren war. 
11. Der Zwerg und die Wunderblume. (Aus dem Harze.) 
Von den Brüdern Grimm. Deutsche Sagen. Berlin, 1816. 
Ein junger, armer Schäfer aus Sittendorf an der südlichen Seite des 
Harzes in der Goldenen Aue trieb einst am Fuße des Kyffhäusers und stieg 
immer trauriger den Berg hinan. Auf der Höhe fand er eine wunderschöne 
Blume, dergleichen er noch nie gesehen, pflückte sie und steckte sie an den 
Hut, seiner Braut ein Geschenk damit zu machen. Indem er so weiter ging, 
fand er oben auf der alten Burg ein Gewölbe offen stehen; bloß der Eingang 
war etwas verschüttet. Er trat hinein, sah viele kleine, glänzende Steine 
auf der Erde liegen und füllte seine Taschen ganz damit an. Nun wollte 
er wieder ins Freie, als eine dumpfe Stimme erscholl: „Vergiß das Beste 
nicht!" Er wußte aber nicht, wie ihm geschah und wie er aus dem Gewölbe 
herauskam. Kaum sah er die Sonne und seine Herde wieder, da schlug die 
Tür, die er vorher gar nicht wahrgenommen, hinter ihm zu. Als der Schäfer 
nach seinem Hute faßte, war die Blume beim Stolpern abgefallen. Urplötzlich 
stand ein Zwerg vor ihm: „Wo hast du die Wunderblume, welche du
	        
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