Aufsindung des Seeweges nach Indien.
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war von den Mauren befreit, der Fall des Araberreiches von Granada blieb
eine bloße Frage der Zeit. Eine Fülle von ritterlich-abenteuerlicher Tatkraft
wurde frei und verlangte nach Betätigung. Die nautischen Wissenschaften hatten
erhebliche Fortschritte gemacht. Die Araber hatten die Karavelle^) erfunden;
man fuhr seitdem sicherer und hatte gelernt die Planken aneinander statt über-
einander zu befestigen und den Schiffsrumpf zu kalfatern. In Amalfi war der
Kompaß verbessert worden durch Anbringung der Windrose unter der beweg-
lichen Nadel, und Regivmontanus^) in Nürnberg hatte um 1470 durch seine
Ephemeriden und vervollkommnete Beobachtungsweise die Bestimmung des Ortes
auf der Erdoberfläche erleichtert.
B.
Es ist der ewige Ruhm eines Mannes die Gunst der Stunde erkannt
und den Ruf, der an sein Volk erging, vernommen und befolgt zu haben. Das
war Prinz Heinrich von Portugal3), den man als den „Seefahrer"
bezeichnet. Er hat sein Volk und die Menschen zu erhabenen Taten geführt,
hat ein neues Zeitalter eingeleitet, nicht zufällig, sondern in bewußter, kluger
Erwägung. Seine Jugend fiel noch in die Zeit der Kämpfe gegen die Mauren
und die Tapferkeit und Umsicht, die er in ihnen bewies, verschafften ihm ehren-
volle Anträge zur Übernahme hoher Befehlshaberstellen in fremden Heeren.
Aber schon früh scheint er ein Vorgefühl gehabt zu haben auf welche Gebiete
ihn das Schicksal rief: so besaß er die Festigkeit alle Angebote abzulehnen. Ihn
lockte das rätselvolle Meer mit feinen tausend Wundern und Fragen. An der
äußersten Ecke der damals bekannten Welt, am Kap San Vincent4), fern von
allem höfischen Treiben, baute er sich ein Schloß auf einer Klippe, die weit
hinaus in die See springt. In unmittelbarer Nähe seiner Wohnung errichtete
er als frommer, fast asketischer Mann eine Kirche für feinen Gott und eine
Reihe von Baulichkeiten für die Wissenschaft, deren Förderung sein ferneres
Leben galt. Hierher zog er Gleichstrebende, hier wurden die Gesetze des Meeres
') Vgl. S. 13.
2) Regivmontanus hieß eigentlich Johannes Müller und leitete der Sitte der Zeit
gemäß seinen latinisierten Namen von seiner Geburtsstadt Königsberg in Franken ab.
Er war einer der gelehrtesten Astronomen und Mathematiker; er brachte als erster in
Deutschland das Studium der Algebra wieder in Aufnahme. Von seinen Schriften sind
am bekanntesten die Ephemerides ab anno 1475—1506, in denen wichtige astronomische
Beobachtungen niedergelegt sind. Regivmontanus starb 1476 als Bischof von Regens-
bürg zu Rom, wohin er vom Papste Sixtus IV. zur Verbesserung des Kalenders berufen
worden war.
3) Vgl. S. 12.
4) Der Südwestfpitze Portugals.