Eine Frankenstadt in der Merowingerzeit.
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benützt wurde, Brandstätten und wüst- Plätze, an den Straßenecken kleine Holz-
kapellen mit einem Heiligtum, Und unter Ruinen und Notbauten wieder das
Gerüst einer großen steinernen Kirche, welche dem Stadtheiligen gebaut wurde,
auf hoher Stelle ein Palast, den sich der germanische König errichten ließ, nach
heimischer Sitte mit vielen Nebengebäuden sür Gesolge, Dienerschaft, Reistge
und Rosfe, oder ein burgähnliches Turmhaus des Grafen mit Hosraum und
weiter Halle.
In den engen Straßen der Frankenstadt wandelte neue und alte Welt m
buntem Gemisch durcheinander. Eine reisige Schar mit Helm und Panzer zog
daher auf starken Kriegsrossen; oder der Jagdzug eines Königssohns, die Knaben
den Köcher auf der Schulter, den Speer in der Hand, die Hunde am Leitseil,
die Falken über dem Fausthandschuh. Vornehme Frankenfrauen, in der Sänfte
getragen oder zu Rosse sitzend, teilten das Gewühl, und wieder ein stattlicher
Geistlicher in weißer Dalmatica') mit Purpurstreif, nach römischem Brauch mit einem
Gesolge von Diakonen^), Sängern und Türhütern, handfesten Männern, welche
nicht nur das Gotteshaus sondern auch ihren geistlichen Hirten zu schützen
hatten. Daneben Marktleute vom Lande. Hier die hohe Gestalt des helläugigen
Germanen mit blondem Kraushaar, im braunen Lodenwams, das kurze Schwert
an der Seite, die Axt in der Hand; neben ihm sein Weib im weißen Linnen¬
hemd, über welches die Armilausa geschlagen war, ein ärmelloser Überwurf,
an den Seiten offen, nur über der Schulter geschlossen; auch die Frau von
mächtigen Gliedern und einer Hand, die im Streite geballt sicher Beulen schlug.
Vor ihnen gestikulierte der gebräunte Einwohner von Armorika3), kenntlich an
der Stirnbinde, die er trug wie das Stadtvolk in Rom um sich als geborener
Römer zu zeigen, der Handwerker mit seinem Schurzfell, Mlaven von jeder
Hautfarbe. Mißtrauisch spähte in das Gedränge der christliche Syrer, der
damals in den Handelsstädten des Abendlandes begünstigter Rivale des Juden
war, und der Jude selbst, Geldmann der Stadt und Vertrauter des Königs,
der aus seinem Klepper einherritt, begleitet von einem Zuge dienender Leute.
Über die Karren und Lastwagen ragte der hohe Hals eines Kamels, das um
600 auch im Frankenreich als Lastträger benützt wurde, ja noch unter Karl
dem Großen beim Bau des Königschlosses von Aachen Steine zutrug. Auf dem
Flusse führten die Frachtschiffe die Waren der Hafenstadt und die Ackerfrucht
von entfernteren Gütern der Kirche nach der Stadt.
') Ein aus Dalmatien stammendes langes weißes Oberkleid mit Ärmeln.
2) Unter Diakonen verstand man eine den Bischöfen untergeordnete Klasse von
Gemeindebeamten, welche die Ordnung beim Gottesdienst aufrecht zu erhalten, bei der
Austeilung des Abendmahls Hilfe zu leisten und andere Obliegenheiten zu erfüllen hatten.
*) Die nordwestliche Küste Galliens, die heutigen Landschaften Normandie und
Bretagne.