Metadata: Deutsche Dichtung des 18. Jahrhunderts (Band 2, [Schülerband])

Klopstocks „Messias“ in Goethes Elternhause 
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24. Klopstocks „Messias“ in Goethes Elternhause. 
Aus der Ferne machte der Name Klopstock auch schon auf uns 
eine große Wirkung. Am Anfang wunderte man sich, wie ein so vor⸗ 
trefflicher Mann so wunderlich heißen könne: doch gewöhnte man sich 
bald daran und dachte nicht mehr an die Bedeutung dieser Silben. 
In meines Vaters Bibliothek hatte ich bisher nur die früheren, besonders 
die zu seiner Zeit nach und nach heraufgekommenen und gerühmten 
Dichter gefunden. Alle diese hatten gereimt und mein Vater hielt den 
Reim für poetische Werke unerläßlich. Canitz, Hagedorn, Drollinger, 
Gellert, Kreuz, Haller standen in schönen Franzbänden in einer Reihe. 
An diese schlossen sich Neukirchs Telemach, Koppens befreites Jerusalem 
und andere Übersetzungen. Ich hatte diese sämtlichen Bände von Kindheit 
auf fleißig durchgelesen und teilweise memoriert, weshalb ich denn zur 
Unterhaltung der Gesellschaft öfters angerufen wurde. Eine verdrießliche 
Epoche im Gegenteil eröffnete sich für meinen Vater, als durch Klop- 
stocks „Messias“ Verse, die ihm keine Verse schienen, ein Gegenstand 
der öffentlichen Bewunderung wurden. Er selbst hatte sich wohl ge— 
hütet dieses Werk anzuschaffen; aber unser Hausfreund, Rat Schneider, 
schwärzte es ein und steckte es der Mutter und den Kindern zu. 
Auf diesen geschäftstätigen Mann, welcher wenig las, hatte der 
„Messias⸗ gleich bei seiner Erscheinung einen mächtigen Eindruck gemacht. 
Diese so natürlich ausgedrückten und doch so schön veredelten frommen 
Gefühle, diese gefällige Sprache, wenn man sie auch nur für harmonische 
Prosa gelten ließ, hatten den übrigens trockenen Geschäftsmann so ge⸗— 
wonnen, daß er die zehn ersten Gesänge — denn von diesen ist eigentlich 
die Rede — al⸗ das herrlichste Erbauungsbuch betrachtete und solches 
alle Jahre einmal in der Karwoche, in welcher er sich von allen Ge— 
schäften zu entbinden wußte, für sich im stillen durchlas und sich daran 
fürs ganze Jahr erquickte. Anfangs dachte er seine Empfindungen seinem 
alten Freunde mitzuteilen; allein er fand sich sehr bestürzt, als er eine 
unheilbare Abneigung vor einem Werk von so köstlichem Gehalt wegen 
einer, wie es ihm schien, gleichgültigen äußern Form gewahr werden 
mußte. Es fehlte, wie sich leicht denken läßt, nicht an Wiederholung 
des Gesprächs über diesen Gegenstand; aber beide Teile entfernten sich 
immer weiter voneinander; es gab heftige Szenen, und der nachgiebige 
Mann ließ sich endlich gefallen von seinem Lieblingswerke zu schweigen, 
d er nicht zugleich einen Jugendfreund und eine gute Sonntagssuppe 
verliere 
Proselyten zu machen ist der natürlichste Wunsch eines jeden Menschen, 
und wie sehr fand sich unser Freund im stillen belohnt, als er in der
	        
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