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Licht- und Schattenseiten im Charakter der Germanen.
Urwälder freilich in so kolossaler Größe, daß in einzelnen jener primitiven
Boote nicht weniger als dreißig Mann Platz fanden.
Was aber das wichtigste ist, auch der Ackerbau war kaum auf der ersten
Stufe der Entwicklung angelangt. Um das Jahr 100 v. Chr. bestellten die
Germanen den Boden noch gar nicht, sondern lebten ausschließlich von Jagd
und Viehzucht. Als Cäsar mit ihnen in Berührung kam, hatten sie mit dem
Feldbau zwar schon begonnen, doch nahm er in ihrem wirtschaftlichen Leben
noch eine sehr untergeordnete Stelle ein. Pflanzen, die einer mehrjährigen
Pflege bedürfen, ehe sie Ertrag geben, namentlich Wein und Obst, zog man auch
zur Zeit des Tacitus noch nicht.
Wie der primitive Zustand des Landbaues jede Ortsveränderung erleichterte,
so hinderte er zugleich den Deutschen sein Herz an die Scholle zu hängen und
ein lebhaftes Heimatsgefühl in ihm auszubilden. Denn keiner besaß ein
Stück Acker als persönliches Eigentum; keiner erwuchs in der Hütte, in der
seine Wiege gestanden, auch zum Manne. Alljährlich zog das ganze Dorf auf
eine neue Feldflur hinüber und ließ diejenige, welche man im Jahre vorher
bebaut hatte, so lange wüst liegen, bis sich dies ungedüngte Land völlig erholt
hatte. Dabei wurde auch der frühere Wohnraum ohne Bedenken abgebrochen
oder im Stich gelassen; denn warum hätte man an den ärmlichen Hütten fest-
halten sollen? Gewährten sie doch nicht einmal Schutz gegen die Winterkälte,
sondern zwangen ihre Bewohner sich in Erdlöchern, deren Oberfläche durch eine
Schicht von Mist besser gegen die Luft abgeschlossen wurde, vor dem Froste zu
verkriechen? So leichte Bauwerke einmal im Jahre neu zu zimmern kostete
geringere Mühe, als täglich von dem entfernteren Acker zu ihnen zurückzukehren.
Freilich kam es nicht oft vor, daß der träge Hausherr sich selbst mit dessen
Herstellung mühte; meist überließ er sie seiner Frau oder den Sklaven, falls
er solche besaß. Diese besorgten dann den Landbau in großer Freiheit und zu
ihrem Vorteil; ihrem Herrn lieferten sie nur einen bestimmten Teil des Erträg-
nisses. Die wechselnden Siedelungen hatten meist die Form von Dörfern, in
denen die Verwandtschaft beieinander hauste. Sehr vielen aber erschien die lose
Dorfgemeinschaft als Hemmnis ihrer freien Bewegung; sie bauten sich ihre
Hütte abgesondert von den Volksgenossen, wo es ihnen eben behagte.
4. [rieht* und Schattenleifen im Charakter der Germanen.
Felix Dahn, Urgeschichte der germanischen und romanischen Völker.
(Berlin, Baumgärtels Historischer Verlag.)
Die wichtigste Tugend der Germanen war jenes unvergleichliche Helden-
tum, jene Freude an Kampf und Gefahr als solchen, jene Wollust der Tapfer-
keit, welche Römer und Griechen mit Grauen zu schildern nicht müde werden: