Die zweite und dritte Teilung Polens.
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5. Die zweite und dritte Teilung Uotens (1793 und 1795).
Während Österreich und Preußen im Westen gegen die Revolution Krieg
führten, ohne sie niederwerfen zu können, erlag im Osten die Republik Polen
den von Rußland fortwährend unterhaltenen Stößen gerade in dem Angen-
blicke, wo sie von der gesetzmäßigen Unordnung sich zu geordneten Verhält-
nissen erheben wollte.
Die Polen hatten sich von der Betäubung, in welche sie durch den Ge-
waltstreich von 1772 versetzt worden, erholt. Als Katharina II. und
Joseph II. mit den Türken einen Krieg führten, der ihre Kräfte gegen
alle Erwartung erschöpfte, glaubten die Bessern der Nation, die Zeit zur
Wiederherstellung des Vaterlandes sei gekommen, um so mehr, als Preußen
insgeheim und öffentlich ermunternde Verheißungen machte. Ein Reichstag
in Warschau (Herbst 1788), der sich aber „Konföderation" nannte, damit
ihn kein russisches liberum veto unwirksam mache, beschloß die Verstärkung
des Heeres auf 60 000 Mann, verwahrte sich gegen die Beschränkung seines
gesetzgebenden Rechtes, wies das von Katharina angetragene Bündnis gegen
die Türkei zurück und drohte mit dem allgemeinen Aufgebote, falls die rus-
fischen Truppen nicht aus dem polnischen Gebiete weggezogen würden. Preußen
versprach feierlich, die Unabhängigkeit Polens in der Anordnung seiner ein-
heimischen Angelegenheiten zu schirmen, und Katharina, die mit Schweden
und der Türkei vollauf zu thun hatte und keinen polnischen Krieg brauchen
konnte, zog ihre Truppen zurück. Auch an die Umgestaltung der Verfassung
legte der Reichstag mit Eifer und vorsichtiger Mäßigung die Hand: die königliche
Gewalt wurde vermehrt, die Krone als nach dem Tode des kinderlosen Königs
Stanislaw Poniatowski erblich im Kurhause Sachsen erklärt; der Reichstag
sollte aus zwei Stuben, der Landboten- und der Senatorenstube, bestehen, das
liberum veto aufgehoben sein; die königlichen Städte erhielten die Freiheit,
ihre Magistrate zu wählen, eigene Verwaltung und einigen Anteil an der
Vertretung im Reichstage; der Adel sollte den Bürgern durch Verdienst zu-
gänglich sein. Nur für die Bauern geschah nichts, als daß sie dem Schutze
der Gesetze gegen vertragswidrige Erschwerung ihres Loses empfohlen wurden
(Verfassung vom 3. Mai 1791). Die neue Verfassung wurde von der un-
geheuern Mehrheit der Nation mit Jubel aufgenommen, und nur wenige
Männer des hohen Adels (Felix Potocki, der Krongroßfeldherr Branicki, der
Bischof Kossakowski, ein Rzewuski, ein Malachowski) waren verblendet genug,
derselben zu widerstreben, und schlössen den 14. Mai 1792 die Konföde¬
ration zu Targowica auf die Gefahr hin, ihr Vaterland zu verderben.
Denn schon drohte Rußland aufs neue; Katharina hatte mit den Türken
Frieden geschlossen und wartete nur auf die Zustimmung Preußens, um über
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