Full text: Deutsche Geschichte (Teil 3)

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Die Bevölkerung schied sich in der Regel in zwei Hauptgruppen: 
in die Gemeinde und in,die Handwerker. Die Handwerker übertrafen 
an Zahl gewöhnlich die andre Gruppe. Doch war diese die mächtigere; 
denn zu ihr gehörten die Patrizier, in deren Händen das Stadtregiment lag. 
Beide Gruppen gliederten sich wieder in Gesellschaften. Bei den 
Handwerkern hießen sie Zünfte. Zu einer solchen Zunft gehörten gewöhn- 
lich Leute von gleichem Beruf. So gab es eine Bäcker-, eine Metzger-, 
eine Schneider-, eine Wollweber-, eine Gärtnerzunft. Jeder Meister mußte 
einer Zunft angehören: es herrschte also Zunftzwang; doch wurde niemand 
als Meister aufgenommen, der nicht seine Lehrzeit durchgemacht, als Geselle 
gearbeitet und dann sein Meisterstück gefertigt hatte. Auf diese Weise wurden 
Stümper ferngehalten. 
Die Zunft führte strengeAnssicht über ihre Mitglieder; namentlich 
wachte sie darüber, daß nur gute Arbeit geliefert winde. Jeder Meister 
setzte seinen Stolz darein, das Beste zu leisten, und bei diesem schönen 
Wetteifer erhob sich manches Handwerk zur Kunst. 
Jede Zunft bildete eine große Familie. An Freud und Leid des 
einzelnen nahmen alle teil. War einem Handwerker ein Kind geboren, so 
kamen die übrigen Zunftgenossen zur Taufe; starb jemand von seinen An- 
gehörigen, so schritten sie still und ernst hinter dem Sarge her. Kranke und 
hilflose Mitglieder wurden aus einer gemeinsamen Kasse unterstützt. 
Jede Zunft hatten ihren besonderen Heiligen, und wenn sein Namenstag 
kam, wurde er gefeiert. 
War das Tagewerk vorüber, so versammelten sich die ehrbaren Meister 
auf ihrer Trinkstube. Dort labten sie sich nicht nur an Bier und Wein, 
sondern trugen auch die Verse vor, die sie sich daheim ausgedacht hatten, und 
rangen um den Preis. 
4. Das Stadtregiment. Das Stadtregiment lag in den Händen 
des Rates. Er bestand ursprünglich aus lauter Patriziern. Als 
aber die Zünftler in vielen Städten wohlhabend geworden waren, wollten sie auch 
am Stadtregiment teilnehmen, denn die Patrizier mißbrauchten ihre Macht 
oft zu ihrem eignen Vorteil. Da kam es in vielen Städten zu erbitterten 
Kämpfen; gewöhnlich blieben die Patrizier Sieger; doch sahen sie sich öfter 
gezwungen, den Zünftlern wenigstens eine Anzahl Ratsstellen einzuräumen. 
In den Händen des Rates lag eine große Macht. Er war Herr 
über Leben und Besitz aller Bürger; denn er setzte die Strafen für die 
Verbrechen fest und entschied alle Streitigkeiten in Vermögenssachen. Gegen 
sein Urteil gab es keine Berufung an ein höheres Gericht. Er erhob Steuern, 
wie es ihn gut dünkte, und was er verfügte, hatte ohne weiteres Gesetzes¬ 
kraft. Eigentlich behandelte der Rat alle Bürger wie unerwachfene 
Menschen; denn er kümmerte sich um vieles, was heute die Obrigkeit ganz 
der Familie oder dem einzelnen überläßt. So bestimmte er die Preise für 
Wein und Bier, machte bekannt, wieviel Geld jeder für eine Kindtaufe oder 
eine Hochzeit aufwenden dürfe, ja, er setzte wohl gar die Länge für die 
„Nachsleussen" fest, für die Schleppen der Frauen. 
5. Die Frömmigkeit der Bürger. Die Bürger jener Zeit waren 
fromme Leute. Keiner schloß die Augen, ohne der Kirche etwas zu
	        
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