Full text: Deutsche Geschichte (Teil 3)

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hinterlassen. Da die Familien gewöhnlich sehr kinderreich waren, so bestand 
bei den Patriziern der Brauch, einen Sohn für den geistlichen Stand zu 
bestimmen und auch eine Tochter in ein Kloster einzukaufen. 
Bleibende Denkmäler dieses frommen Sinnes sind die vielen schönen 
Kirchen im gotischen Stil, der den romanischen ablöste. Diegotischen 
Bauten gehen in die Höhe. Man hat die Strebepfeiler anzuwenden 
gelernt. Diese entlasten die Gewölbe? die Mauern brauchen nicht mehr so 
dick zu sein wie die romanischen und dürfen darum auch durch große Fenster 
unterbrochen werden. 
In allen schädlichen Naturereignissen sahen die Menschen damals 
eine direkte Strafe des Himmels für ihre Sunden, die darum eine 
Buße erforderte. Wenn ein großes Sterben viele Leute hinraffte, wenn 
eine außergewöhnliche Überschwemmung großen Schaden tat, wenn eine Wind¬ 
hose oder ein Hagelschlag die ganze Ernte vernichtete, wenn die Dürre im 
Sommer zu lange anhielt, so mußte eine Vitt- und Bußprozession 
Hilfe schaffen. 
6. Die Bildung. Fast jedermann konnte wenigstens lesen und schreiben; 
das brachte schon das Geschäft mit sich. Doch tat die Obrigkeit gar nichts 
für die Schulbildung; diese war vielmehr Privatsache. Vor allen Dingen 
pflegte sie die Geistlichkeit in ihren Schulen. Es gab aber auch Privat- 
lehr er, sogar schon Privatlehrerinnen für das weibliche Geschlecht. 
Viele Bürgersöhne, vor allem ans den Patrizierkreisen, begnügten sich 
nicht mit dem, was sie daheim lernen konnten, sie wollten höher hinaus und 
besuchten eine Universität. Da zogen denn die Wohlhabenden nach 
Italien und studierten in Bologna oder Siena; die weniger Bemittelten 
suchten deutsche Hochschulen auf, die damals in großer Zahl entstanden, 
vor allem Heidelberg, Köln, Erfurt, Leipzig. 
So wuchsen die Bürger den Adeligen über den Kopf; sie wurden die 
Träger der deutschen Bildung. Freilich gelang es ihnen nicht, auf 
dem Gebiete der Dichtkunst den Minnesängern gleichzukommen. Doch war 
wenigstens einer von ihnen, der Nürnberger Hans Sachs, ein wirklicher 
Dichter. 
7. Die Wehrhaftigkeit. Die Bürger mußten auch zur Wehrhaftig- 
feit erzogen werden; denn die Fürsten und die Ritter waren den Reichs- 
städten feiud und suchten ihnen beständig zu schaden. Darum hatte jeder 
Bürger für sich eine Rüstung zu stellen, deren wichtigstes Stück der Brust- 
Harnisch war. Die Städter waren gar nicht angriffsluftig: sie wollten am 
liebsten mit jedermann in Frieden leben. Deshalb übten sie sich auch nur 
wenig für den Kampf in der Feldschlacht, und den Ritterheeren der Fürsten 
zeigte sich ihr Fußvolk säst nie gewachsen. Desto mehr pflegten sie die 
Waffen der Verteidigung, die Armbrust und später auch die Büchse. 
Der Rat hielt daraus, daß die erwachsenen Bürger im Armbrust- 
schießen tüchtig waren. Auf einer ganzen Reihe von Schießständen übten 
sich im Sommer auf seinen Befehl die Schützen an jedem Sonntagnach- 
mittag. Sie schössen nicht einzeln, wie dies heute beim Scheibenschießen 
Sitte ist, sondern gruppenweise. Die Mitglieder jeder Abteilung saßen in 
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