114 Das Kulturleben gegen Ausgang des Mittelalters.
geführt. Später verloren sie ihren ernsten kirchlichen Charakter, verlegten ihren
Spielplatz auf Märkte und öffentliche Bühnen und dienten der reinen Volks-
belustigung.
2. Die Baukunst. In der zweiten Hälfte des Mittelalters erreichte der sog.
gotische x) Stil seine höchste Vollendung. Kennzeichnend ist für ihn der schlanke,
zierliche Spitzbogen als Grundform. Außerdem entsprach der gewissermaßen
zum Himmel aufstrebende Stil der religiösen Begeisterung jener Zeit und gab
mit seiner Pracht und Fülle von Formen ein Bild des wachsenden Reichtums
der Städte.
Während bisher die Mauern das Gewicht des Ganzen tragen mußten,
sind jetzt die Pfeiler und die Gewölberippen Hauptträger. Zur Unterstützung
der Jnnenpfeiler treten an die Außenseite Strebepfeiler, die entweder un-
mittelbar oder durch Strebebogen mit den Wänden verbunden sind. Da somit
die Wände zwischen den Strebepfeilern entlastet werden, gestatten sie die Ein-
führung großer hoher Fenster, die durch zierliches Maßwerk geteilt und durch
bunte Glasmalerei geschmückt sind. Häufig findet man ein gewaltiges Radfenster
über dem Haupteingang. Die Türme sind schlanker, höher und reicher gegliedert
als früher. Üppiges Figurenwerk, besonders an den hohen und breiten Por-
talen, sowie zahlreiche Türmchen, Fenstergiebel, Kreuzblumen und phantastische
Tiergestalten beleben das Ganze.
Die vollkommensten Denkmäler der deutschen Gotik liegen im Rheingebiet,
nämlich das Münster zu Freiburg i. Br., das statt des üblichen Doppelturmes
nur einen einzigen, dafür umso mächtigeren über dem Haupteingang trägt, das
Straßburger Münster von Meister Erwin von Steinbach (f 1318) und seinen
Söhnen, ferner der Kölner Dom, begonnen 1248 und erst in den Jahren
1842—1890 nach den alten Plänen vollendet. Weiter sind zu merken der Regens-
burger Dom, begonnen im 13. Jahrh., ausgebaut durch König Ludwig I. von
Bayern, das Ulmer Münster mit dem höchsten Kirchturm der Welt (161 m
hoch), die Hauptkirchen St. Lorenz und St. Sebald in Nürnberg, außer-
dem die Martinskirche in Landshut und schließlich die Frauenkirche tu
München, 1494 durch Jörg Ganghoser bis auf die Turnte2) vollendet.
Von bekannten außerdeutschen Gotteshäusern wären noch anzuführen
der Stephansdom in Wien, Notre Dame in Paris, die prächtige Westminster--
abtei in London und die Marmordome von Mailand und Florenz.
Als weltliche Bauten stammen aus der Zeit der Gotik mächtige Burgen,
wie die Marienburg in Preußen, der Sitz des Deutschordens, ferner stolze
Rathäuser (wie der Römer in Frankfurt a. M.), Patrizierhäufer, prächtige Stadt-
tore, Brunnen u. dgl.
3. Die Plastik. Ihre kräftigste Blüte entfaltete die deutsche Bildnerei in
f 1507 Nürnberg. Von dem Meister Adam Krafft ftammen Passionsdarstellungen,
wie die sieben Stationen (aus Stein gearbeitet; jetzt im Germ. Museum)
und das kirchturmartige Sakramentshäuschen in der Lorenzkirche. Peter
x) Mit dem Wort „gotisch" wollten die Italiener der späteren (Renaissance-)Zeit^
den Kunststil als einen „germanischen, barbarischen" bezeichnen.
2) Die Türme waren als Spitztürme geplant, erhielten aber später die nicht zum:
gotischen Stil passenden Kuppelhauben.