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ja Einer mit Entschiedenheit diese Möglichkeit vertrat, wußte auch er schwerlich aus
eigener Erfahrung, wie der Krieg weh thue. 5)a kam in den letzten Sagen schlag
auf Schlag, Ahuuug, Wahrscheinlichkeit, Sicherheit eines Kampfes der Landsleute
auf deutschem Boden gegen einander, eines Krieges, den die eigene Regierung gegen
die des Nachbarstaates führen sollte. Die Stadt selbst hatte noch in den letzten
Wochen ihren König treugehorsamst gebeten, eine angebotene Neutralität zu beob¬
achten und ihrem Lande den Bruderkrieg zu ersparen2). Aber inan vernahm
in der Residenz diese Mahnung ungern und wählte nach kurzem Schwanken
den Krieg.
Und diese Wahl machte den Bürgern wie ein blendender Blitz sichtbar, was
ein innerer Krieg zu unserer Zeit im Tagesleben der Menschen umwandelt, selbst
bevor sie von seinen ärgsten Schrecken befallen werden.
Auch der Krieg, das Ungeheuer verhüllt, wenn er zuerst in die Länder tritt,
die Schrecken seines furchtbaren Angesichts, er müht sich, mild auszusehen, und
fordert mäßig, aber schnell wächst sein Grimm, eisern legt sich die finstere Noth¬
wendigkeit in die Seelen der Menschen, der Kämpfenden und Leidenden. Auch uns
mag die Zeit kommen, wo ein Lächeln nicht mehr gestattet ist. Noch ist es möglich,
die wechselnden Stimmungen des Tages mit der heitern Fassung zu betrachten, die
der Mann auch vor der Gefahr nicht verlieren soll. — Auf den Straßen wird es
lebhaft; wenn die Balken von einem Neubau dröhnen, so meint der Städter,
Kanonendonner zu hören, überall öffnen sich die Fenster, und mit gespannter Miene
lauschen die Leute; wenn ein Reiter schnell durch die Straßen sprengt, glaubt matt
den Hufschlag einreitender Husaren zu hören, und jeder Brauwagen klingt wie
fahrendes Geschütz.
An den Straßenecken haben sich die fliegenden Buchhändler aufgestellt, Extra¬
blätter melden fast zu jeder Stunde Telegramme der letzten Drähte, welche noch auf
ihren Pfählen schweben, und aufregende Gerüchte, welche die nächste Stunde wider¬
legt. Auch alte Prophezeihungen tauchen auf . . . und daneben aus dem Volks¬
gemüth uralte Bilder, und ehrbare Mütterlein berichten von Weissagungen in alten
Büchern, nach denen der Feind zuletzt nur noch so viel Leute übrig behalten haben
soll, daß sie unter dem Dache eines Birnbaums Platz haben. — Unterdeß rüstet
sich die Stadt für fremde Einquartierung; es ist eine verständige, vorsichtige Com¬
mune , die nicht überrascht werden und nicht die Unordnung quartierloser Truppen
ertragen will, viele Schreiber sitzen und verfassen Quartierzettel. Wer auch zu den
offenen Thoren hereinkomme, er soll finden, daß der Bürger das Unvermeidliche ihm
und sich vorsichtig zurecht gelegt hat. Auch die Hausfrauen denken an Lager für
die Einquartierung, an Matratzen und Decken und Lebensrnittel. Man erkundigt
sich, wie viel der Soldat auf Kriegsfuß zu essen berechtigt ist, etwa zwei Pfund
Brod und Fleifch, die Bayern aber mehr. Sorgliche Hausmütter kümmern sich auch
um die Theuerung, welche in die Stadt kommen wird; Borräthe werden angeschafft,
und weil alte Erinnerungen aufleben, daß in ärgster Kriegsgefahr das Brod un¬
erschwinglich wird, häuft eine bedächtige Wirthin Körbe von Milchbrod, um zur
letzten Zuflucht, wenn alles aufhört, die versteinerten einzuweichen oder nach der
Rückkehr in unheimliche Naturzustände zwischen zwei Steinen zu zerreiben, wie
Robinson Crusoe seinen Schiffszwieback. Der Hausherr aber versieht sich mit billigen
Cigarren, denn von guten Freunden ... ist er belehrt, daß die Pfeife der Krieger
eine aromatische Belästigung seines Quartiers werden kann, und daß ein wirksames
2) Bgl. Nr. 2.