74 Das Mittelalter.
Christlich-germ. Staaten auf dem Boden des röm. Reiches.
(ca. 600) gesetzte Fälschung wurde verfaßt, um die geistliche Gewalt gegen
die weltliche, die bischöfliche gegen die Übergriffe der Metropoliten zu schützen;
zu diesem Zwecke betonte der Verfasser die Obergewalt des Römischen Stuhles,
der selbst bis ins 11. Jahrhundert dieser Sammlung keinen Wert beimaß.
Die Unechtheit hat schon in aller Schärfe im 15. Jahrhundert der gelehrte N i k o-
laus von Eues ausgesprochen (S. 45). Papst Nikolaus galt als „zweiter
Elias". Sein würdiger Nachfolger Hadrian II. (867—872) trat ver¬
geblich für die Rechte des Kaisers Ludwig II. auf das Erbe Lothars II. gegen
Karl den Kahlen ein. Der große Papst Johann VIII. (872—882), be¬
drängt von römischen Parteihäuptern, von italienischen Großen, besonders dem
Markgrafen Adalbert von Tuscien und dem Herzog Lambert von Spoleto,
von den Arabern zu einem jährlichen Tribut von 25 000 Pfund Silbers
gezwungen, erwartete von dem zum Kaiser gekrönten Karl umsonst Hilfe,
mußte 882 vor seinen Feinden in Rom fliehen und wurde ermordet. Auch
seine Nachfolger fanden keine Stütze an den Karolingern. Um die königliche
Krone Italiens stritten sich der Herzog Guido von Spoleto und Mark-
graf Berengar von Friaul, die beide von den Karolingern abstammen
wollten. Während ersterer nach Karls des Dicken Tode vergeblich die Hand
nach der westfränkischen Krone ausstreckte, warf sich Berengar I. als König
von Italien auf. Guido gewann die Oberhand und ließ sich vom Papste
Stephan V. (885—891) zum Kaiser krönen, desgleichen seinen Sohn vom
Papste Formosus (891—896) als Mitregenten. Da die Zustände in Italien
sich immer verschlimmerten, riefen der Papst, Berengar und andere den König
Arnulf zu Hilfe (893), der seinen gewaltthätigen Sohn Zwentibold sandte,
und als dieser, wie es hieß, von Guido bestochen, abzog, mit Heeresmacht
selbst in Oberitalien erschien (Januar 894). Er erstürmte Bergamo und ließ
sich in Piacenza zum König von Italien krönen, kehrte jedoch im März schon
zurück, nachdem er durch Krankheiten viele Leute eingebüßt und den Abfall
der meisten italienischen Großen erfahren hatte. Im folgenden Jahre kam
er abermals mit großer Macht, da Berengar und Guidos Sohn Lambert
sich gegen ihn verbündet hatten und der Papst Formosus bedrängt wurde. Er
zwang Berengar zur Unterwerfung, erstürmte Rom, welches von Guidos
Witwe Agiltrude verteidigt wurde, und empfing am 22. Februar 896 von
Formosus die Kaiserkrone, hob aber, von einer heftigen Krankheit befallen,
die Belagerung von Spoleto auf. Nach seiner Heimkehr teilten sich Berengar
und Lambert in die Herrschaft Oberitaliens. Auf den tüchtigen Formosus
folgten innerhalb 8 Jahren 9 Päpste (896—904), von denen der fpoleta-
nische Stephan VII. (VI.) bei einem Aufruhr als Tyrann ermordet ward.
Lambert wurde auf der Jagd ermordet (898), und so hatte Berengar wenig-
stens in Ober- und Mittelitalien die Oberhand.