Full text: Von der Urzeit bis zur Städtegründung (Teil 1)

— 82 — 
Für den Lehrer: 
Die ersten Deutschen in Amerika. 
Der erste Deutsche, der in der Neuen Welt landete, ist wahr- 
scheinlich schon vor ihrer Entdeckung durch Kolumbus dahin gekommen. 
Er gehörte, wenn wir der Überlieferung trauen dürfen, Leif Ericsons 
Expedition nach „Weinland" an. Die Isländer waren ja die 
ersten Europäer, die die nordatlantische Küste besuchten und irgendwo 
zwischen Labrador und Neu-England eine Kolonie zu gründen der- 
suchten. Belege hierfür liefern die altnordischen Sagen sowie zahl- 
reiche Überlieferungen und Urkunden. Die Lage der isländischen See- 
fahrerkolonie dürfte, innerhalb der bereits genannten Grenzen, kaum 
je genauer zu ermitteln sein, auch die zeitliche Bestimmung ist 
zweifelhaft; wahrscheinlich ist das 11. Jahrhundert anzusetzen. 
Der zu dieser Expedition gehörige Deutsche hieß Tyrker und 
scheint ein treuer Diener seines Herrn gewesen zu sein, von der Art, 
der man häufig in deutschen Heldengesängen begegnet. Bezeichnend 
ist feine Auffindung der Weintraube in Amerika. Die nordische Sage 
erzählt darüber: Eines Tages vermißte man einen aus der Schar, 
und es erwies sich, daß der Fehlende Tyrker, der Deutsche, war. 
Seif war tief bekümmert hierüber; denn Tyrker hatte jahrelang mit 
Seif und feinem Vater gelebt und hatte Seif aufs zärtlichste geliebt, 
als dieser noch ein Kind war. Seif machte seinen Begleitern schwere 
Vorwürfe und schickte sich an, ihn zu suchen, wozu er zwölf Männer 
mitnahm. Sie waren erst eine kurze Strecke vom Hause entfernt, 
als sie Tyrker trafen, den sie aufs herzlichste begrüßten. Seif bemerkte 
sofort, daß sein Pflegevater freudig erregt war. — Er wandte sich zu 
ihm und fragte: „Warum kommst du so spät, Pflegevater, und ge- 
trennt von den anderen?" Anfangs sprach Tyrker eine Weile deutsch, 
rollte dabei seine Augen und grinste, und sie vermochten ihn nicht zu 
verstehen; nach einer Weile indes redete er in nordischer Zunge zu 
ihnen: „Ich ging nicht viel weiter (als ihr), und dennoch habe ich 
eine Neuigkeit zu verkünden. Ich habe Weinstöcke uud Trauben ge- 
funden." „Ist das wirklich wahr, Pflegevater?" fragte Seif. „Gewiß 
ist es wahr," versicherte er; „denn ich selbst bin in einem Sandstrich 
geboren, wo es weder an Weinstöcken noch an Trauben gebricht." 
Sie schliefen die Nacht hindurch, und am folgenden Morgen sagte 
Seif zu seinen Schisssgenofsen: „Saßt uns jetzt eine Arbeitseinteilung 
vornehmen und jeden Tag entweder Trauben pflücken oder Wein- 
stöcke schneiden und Bäume fällen, auf daß wir solcher Art eine 
Sadung für mein Schiff erlangen." Eine für das Schiff ausreichende 
Sadung wurde geschnitten, und als der Frühling kam, machten sie 
ihr Fahrzeug segelfertig und fuhren davon. Nach feinen Erzeugnissen 
gab Seif dem Sande einen Namen und hieß es „Weinland".
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.