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Für den Lehrer:
Die ersten Deutschen in Amerika.
Der erste Deutsche, der in der Neuen Welt landete, ist wahr-
scheinlich schon vor ihrer Entdeckung durch Kolumbus dahin gekommen.
Er gehörte, wenn wir der Überlieferung trauen dürfen, Leif Ericsons
Expedition nach „Weinland" an. Die Isländer waren ja die
ersten Europäer, die die nordatlantische Küste besuchten und irgendwo
zwischen Labrador und Neu-England eine Kolonie zu gründen der-
suchten. Belege hierfür liefern die altnordischen Sagen sowie zahl-
reiche Überlieferungen und Urkunden. Die Lage der isländischen See-
fahrerkolonie dürfte, innerhalb der bereits genannten Grenzen, kaum
je genauer zu ermitteln sein, auch die zeitliche Bestimmung ist
zweifelhaft; wahrscheinlich ist das 11. Jahrhundert anzusetzen.
Der zu dieser Expedition gehörige Deutsche hieß Tyrker und
scheint ein treuer Diener seines Herrn gewesen zu sein, von der Art,
der man häufig in deutschen Heldengesängen begegnet. Bezeichnend
ist feine Auffindung der Weintraube in Amerika. Die nordische Sage
erzählt darüber: Eines Tages vermißte man einen aus der Schar,
und es erwies sich, daß der Fehlende Tyrker, der Deutsche, war.
Seif war tief bekümmert hierüber; denn Tyrker hatte jahrelang mit
Seif und feinem Vater gelebt und hatte Seif aufs zärtlichste geliebt,
als dieser noch ein Kind war. Seif machte seinen Begleitern schwere
Vorwürfe und schickte sich an, ihn zu suchen, wozu er zwölf Männer
mitnahm. Sie waren erst eine kurze Strecke vom Hause entfernt,
als sie Tyrker trafen, den sie aufs herzlichste begrüßten. Seif bemerkte
sofort, daß sein Pflegevater freudig erregt war. — Er wandte sich zu
ihm und fragte: „Warum kommst du so spät, Pflegevater, und ge-
trennt von den anderen?" Anfangs sprach Tyrker eine Weile deutsch,
rollte dabei seine Augen und grinste, und sie vermochten ihn nicht zu
verstehen; nach einer Weile indes redete er in nordischer Zunge zu
ihnen: „Ich ging nicht viel weiter (als ihr), und dennoch habe ich
eine Neuigkeit zu verkünden. Ich habe Weinstöcke uud Trauben ge-
funden." „Ist das wirklich wahr, Pflegevater?" fragte Seif. „Gewiß
ist es wahr," versicherte er; „denn ich selbst bin in einem Sandstrich
geboren, wo es weder an Weinstöcken noch an Trauben gebricht."
Sie schliefen die Nacht hindurch, und am folgenden Morgen sagte
Seif zu seinen Schisssgenofsen: „Saßt uns jetzt eine Arbeitseinteilung
vornehmen und jeden Tag entweder Trauben pflücken oder Wein-
stöcke schneiden und Bäume fällen, auf daß wir solcher Art eine
Sadung für mein Schiff erlangen." Eine für das Schiff ausreichende
Sadung wurde geschnitten, und als der Frühling kam, machten sie
ihr Fahrzeug segelfertig und fuhren davon. Nach feinen Erzeugnissen
gab Seif dem Sande einen Namen und hieß es „Weinland".