Full text: Das Neunzehnte Jahrhundert (Bd. 3)

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Revolution und Revolutionskriege. 
So stand es: das heilige Reich ein buntes Durcheinander, 
nirgend ein gemeinsames Band, die Wehrkraft in trauriger Zerrüttung. 
Da wurde Deutschland von der gewaltigen Bewegung ergriffen, die 
das benachbarte Frankreich in seinen Tiefen erschütterte. 
Zuerst erschienen als Vorboten des Sturmes die Emigranten. 
Ihr Hauptlager war Koblenz, der Fürstensitz von Kurtrier, wo die 
Grafen von Artois und Provence ein Heer ausrüsteten, um das auf¬ 
ständische Frankreich zu züchtigen. Aber der ernsten Aufgabe, 
welche sie sich gesetzt hatten, entsprach durchaus nicht das Leben, 
das die Emigranten in Koblenz führten. Festgelage, Schmausereien, 
Komödien, Glücksspiele füllten die Tage aus. Hunderte von 
Müssiggängern wurden genährt. Die höchsten Offizierstellen vergab 
man nach Gunst an vornehme alte Herren, die nie gedient, oder 
an Knaben, deren Stammbaum ihre Untüchtigkeit verdecken sollte. 
Es schien so, als ob das Frankreich der Königszeit mit seinem 
Müssiggang, seiner Genusssucht, seinem Leichtsinn und seinem 
Hochmut nach Koblenz verpflanzt worden sei. 
Dann kamen die wunderbaren Nachrichten aus Frankreich — 
eine drängte die andere — die Nachrichten von der grossen 
Revolution, die binnen ein paar Monaten die geheiligte Ordnung 
eines Jahrhunderts umstiess. Wenige unter den Gebildeten Deutschlands 
wurden nicht durch die kühnen Gedanken und die gewaltigen 
Ereignisse mit fortgerissen, und Goethe sagte später: 
„Wer leugnet es wohl, dass hoch sich das Herz ihm erhoben, 
Ihm die freiere Brust mit freieren Pulsen geschlagen, 
Als sich der erste Glanz der neuen Sonne heranhob, 
Als man hörte vom Rechte der Menschen, das allen gemein sei, 
Von der begeisternden Freiheit und von der löblichen Gleichheit.“ 
Was sich damals in Deutschland regte, war nicht leidenschaft¬ 
liche Erbitterung über eigene Drangsal; es war nichts weiter als 
warmer Anteil an einer fremden Sache. Zu einer Umgestaltung 
bestehender Verhältnisse kam es nicht Nur im stiftischen Deutsch¬ 
land und in den Kleinstaaten fand hier und da eine Erhebung statt. 
Aber wenn auch die Äbtissin von Frauenalb durch ihre Unterthanen 
aus dem Lande gejagt wurde, wenn auch kleine Bauerntumulte im 
Trierschen und Speyer6chen ausbrachen, und in Mecklenburg miss¬ 
handelte Fröner sich zusammenthaten und drohten: den Edelmann 
wille wi dodslagen — alle diese Aufstände blieben auf kleinen Raum 
beschränkt und bedeuteten wenig. 
Es dauerte jedoch nicht lange, da wurde Deutschland durch 
die französische Revolution in stärkere Mitleidenschaft gezogen. In 
der gesetzgebenden Versammlung befand sich eine Gruppe von 
Männern, die Gironde, welchen die Verfassung von 17 91 noch nicht 
genügte, welche vielmehr an die Stelle der beschränkten Königs-
	        
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