Full text: Das Neunzehnte Jahrhundert (Bd. 3)

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herrschaft eine Volksherrschaft setzen wollten. Sie glaubten, ihr 
Ziel erreichen zu können, indem sie zum Kriege mit dem Ausland 
drängten und die Überzeugung verbreiteten, dass dieser Krieg für 
das französische Volk eine Pflicht sei. Sie rechneten so. Entweder 
widersteht der König, dann lädt er den Hass der Versammlung auf 
sich und ist verloren, oder er giebt nach, dann ist wenigstens für 
ihn keine Hoffnung mehr vorhanden, von aussen her Hülfe zu er¬ 
langen. Ihrer wilden Beredsamkeit gelang es auch wirklich, die 
Franzosen mit sich fortzureissen. Das Volk begann zu glauben/’ dass 
seine neue Freiheit durch eine Verschwörung aller alten Mächte 
gefährdet sei, dass man das Schwert ziehen müsse, um das Recht 
der Selbstbestimmung zu wahren, und am 20. April 1792 erklärte 
Frankreich dem Könige von Ungarn und Böhmen den Krieg. 
Damit war das Zeichen zu einem gewaltigen Kriege gegeben, 
der beinahe ohne Unterbrechung bis zum Jahre 1815 dauerte! 
Anfangs standen nur Österreich und Preussen dem Feinde gegenüber. 
Als aber im Jahre 1793 das Haupt Ludwigs auf dem Schafott 
gefallen war, da traten fast alle europäischen Mächte (das deutsche 
Reich, England, Holland, Spanien, Portugal, Sardinien, Toskana, 
Neapel, später auch Russland) dem Bunde gegen Frankreich bei. 
Man hätte glauben sollen, dass dieser grossen Koalition der Sieg 
über das von Parteien zerrissene Frankreich nicht schwer fallen 
würde. Aber es kam anders. 
Der Bund, den die Mächte Europas geschlossen hatten, war 
nur ein Scheinbund. Freilich hatten sie alle die Absicht, den 
französischen Thron wiederherzustellen; aber in erster Linie hatte 
jede Macht den eigenen Vorteil im Auge. England strebte nach 
Handelsvorteilen, und von den drei Mächten Russland, Österreich und 
Preussen bewachte jede eifersüchtig die Bewegungen der anderen, 
um nicht leer auszugehen, wenn der Verbündete einen Machtzuwachs 
erhalten sollte (Polen). 
Daher wurden die kriegerischen Unternehmungen sehr häufig 
durch die Kabinette gestört, während sich auf französischer Seite gar 
bald die grösste Einheit und Thatkraft zeigte. Denn die Jakobiner, 
welche im Jahre 1793 zur Herrschaft gelangten, zwangen das 
französische Volk, ihrem Willen Folge zu leisten und den Krieg 
gegen Europa mit aller Kraft zu führen. Ungeheure Massen schickte 
der Konvent ins Feld; es war wie eine Erhebung des ganzen Volkes, 
und eine Volkserhebung niederzuwerfen, war für die kleinen Heere 
der alten Zeit durchaus unmöglich. 
Der Kriegsminister Carnot nahm eine zweckmässige Neubildung 
des französischen Heeres vor und schuf aus altbourbonischen Offizieren 
und aus jungen Freiwilligen eine tüchtige Führerschar. Verwegen 
stürmten die ungeschulten Generale der Republik mit ihren Truppen 
dem Feinde entgegen, rücksichtslos vergeudeten sie Menschenleben 
und Kriegsvorräte; denn sie durften hoffen, den Marschallstab zu 
erhalten, wenn sie den Sieg errangen; aber die Guillotine wartete 
ihrer, wenn sie unterlagen.
	        
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