Full text: Das Neunzehnte Jahrhundert (Bd. 3)

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beflügelte, lähmte die Preussen die Bedachtsamkeit ihrer hülflosen 
alten Offiziere. Als in der frühen Herbstnacht der Rückmarsch 
gegen Weimar angetreten wurde, da zerrissen alle Bande, welche 
dieses Heer noch zusammenhielten. Taub gegen die Mahnungen 
ungeliebter Führer, dachte der Soldat nur an sich selber. In einem 
unförmlichen Klumpen wälzten sich die Trümmer der Bataillone und 
der Batterien, dazwischen eingekeilt der unendliche Tross, über die 
Hochebene dahin; jeder Hornruf des nachsetzenden Feindes steigerte 
die Verwirrung, weckte die gemeine Angst um das Leben. „Das 
waren Greuel“, sagte Gneisenau, „tausendmal lieber sterben, als 
das noch einmal erleben“. 
Gleichzeitig mit Napoleon erfocht Davoust einige Meilen weiter 
flussab einen Sieg über die preussische Hauptarmee. Da nämlich 
der Herzog seiner Gewohnheit gemäss auch jetzt jedermanns Rat 
hören wollte, erreichte das preussische Heer die Unstrut gar nicht, 
sondern wurde durch die Franzosen schon bei Auerstedt in einen 
Kampf verwickelt. Gleich während der ersten Stunden der Schlacht 
wurde der Herzog von Braunschweig tötlich verwundet, eine Kugel 
raubte ihm das Augenlicht. Da der König weder selbst den Ober¬ 
befehl zu übernehmen wagte, noch einen Befehlshaber ernannte, 
blieb das preussische Heer in den entscheidenden Augenblicken 
ohne Leitung. Nachdem die Schlacht verloren war, zogen sich die 
Preussen in leidlicher Ordnung zurück; als sie aber im Dunkel der 
Nacht mit der gleichfalls fliehenden Heeresabteilung Hohenlohes 
zusammentrafen, wurde die Hauptarmee mit in die Zerrüttung des 
Hohenloheschen Korps hineingezogen. Die Mannschaft verliess 
scharenweise die Fahnen. Selbst Gefangene, die ein beherzter 
Reitertrupp befreit hatte, weigerten sich, die Waffen wieder auf¬ 
zunehmen. Als man der Heimat näher kam, stahl sich auch mancher 
bessere Mann zu den Seinigen hinweg. Die Altgedienten sagten: 
Ich habe lange genug den Kuhfuss getragen; der König hat der 
jungen Burschen genug, die mögen es ausfechten. Der Zauber der 
friedericianischen Unbesiegbarkeit war gebrochen, ein Kriegsruhm 
ohne gleichen war verloren. 
Und noch war der Kelch der Demütigung nicht geleert, eine 
Reihe unwürdiger Übergaben brachte dem Staate heue Schmach. 
Keiner der festen Plätze, an denen sich die Kraft des Feindes hätte 
brechen können, war gerüstet; denn niemand hatte für möglich 
gehalten, dass der Feind bis in das Herz des Königreichs Vor¬ 
dringen könnte. Mancher der alten Festungskommandanten war in 
jungen Jahren ein tüchtiger Offizier gewesen; doch ihr Pflichtgefühl 
entsprang nicht der Vaterlandsliebe, sondern dem Standesstolze. 
Das Heer war ihnen alles, und in selbstgefälligem Hochmut er¬ 
warteten sie gelassen den unfehlbaren Sieg der friedericianischen 
Regimenter. Als nun die sinnverwirrende Kunde von der Niederlage 
durch das Land flog, als die elenden Trümmer dieses unüber¬ 
windlichen Heeres anlangten, da ward den alten Herren zu Mute, 
als ginge die Welt unter. Jeder Widerstand schien ihnen nutzlos;
	        
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