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ihm auch das Recht zu, selbst Gesetze vorzuschlagen (Recht der Ini¬ 
tiative). Verträge, welche dem Reiche Lasten oder den Reichsangehörigen 
Verpflichtungen auferlegen wie z. B. die Zoll- und Handelsverträge, 
bedürfen zu ihrer Gültigkeit gleichfalls der Zustimmung sowohl des 
Buudesrats wie des Reichstags. Ferner steht ihm das Recht der jähr¬ 
lichen Feststellung des Staatshaushaltes im Voranschlag, das Recht 
der Bewilligung von Anleihen für das Reich, und das Recht zu vom 
Reichskanzler jährlich Rechnung über Verwendung der Reichseinnahmen 
zu fordern. Der Reichstag ist endlich befugt die Reichsregierung 
(den Bundesrat oder den Reichskanzler) über Gegenstände aller Art 
zu interpellieren, d. H. zu befragen und Petitionen (Gesuche), die an 
den Reichstag von irgendwelcher Seite gerichtet werden, dem Bundes¬ 
rat oder Reichskanzler zu überweisen. 
b) Wahlrecht und Wählbarkeit. 
Wahlberechtigt ist jeder 25 Jahre alte Deutsche ohne Unterschied 
des Besitzes, der Steuerklasse, der Bildung oder des Berufes. Das 
Stimmrecht ist also ein allgemeines; es ist ferner ein gleiches, weil 
jedermann, hoch oder niedrig, arm oder reich, nur eine Stimme hat, 
und es ist ein direktes, weil der Abgeordnete unmittelbar (nicht erst 
durch Wahlmänner) gewählt wird. 
Ausgeschlossen vom Wahlrechte sind Personen, die unter Vor¬ 
mundschaft stehen, sich im Konkurs befinden, öffentliche Armenunter¬ 
stützung beziehen, der bürgerlichen Ehrenrechte verlustig erklärt sind 
und aktive M-ilitärpersonen. Der zu Wählende muß seit mindestens 
einem Jahre einem deutschen Bundesstaate angehören. 
c) Wahlverfahren. 
Nach der Bevölkerungsziffer von 1871, nämlich 39,7 Millionen, 
ist die Zahl der Abgeordneten auf 397 festgesetzt.1) Zum Zwecke der 
Wahl ist das ganze Reich in Wahlkreise eingeteilt. Auf durchschnittlich 
100 000 Einwohner trifft ein Abgeordneter. Zur Erleichterung des 
Wählens ist jeder Wahlkreis in Wahlbezirke zerlegt. 
Für jeden Wahlkreis wird von der Regierung ein Wahlkommissär 
aufgestellt, für den Wahlbezirk ein Wahlvorsteher. Die Wahl findet 
im ganzeu Reich an demselben Tage statt. Vorher schon wird in 
jeder Gemeinde eine Wählerliste aufgestellt und mindestens acht Tage 
lang zur Einsicht aufgelegt. Wer nicht eingetragen ist, kann auch 
nicht wählen. Die Stimmabgabe geschieht durch weiße mit keinem 
Merkzeichen versehene Stimmzettel, welche den Namen des zu Wählen¬ 
den tragen nnd in einen amtlich gestempelten Umschlag gesteckt werden 
müssen. Alle abgegebenen Stimmen werden zusammengezählt. Hat 
x) Davon entfallen auf Preußen 236, Bayern 48, Sachsen 23, Württem¬ 
berg 17, Elsaß-Lothringen 15, Baden 14.
	        
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