6 I. Die Zeit Le- Heidentums.
Schultern trug er einen todten, blauen Mantel mit goldenen Sternen:
auf den Schultern saßen zwei Raben, die ihm alle Geheimnisse, die sie
beobachtet, ins Ohr raunten. Auf Sturmesflügeln trug ihn sein wind-
schnelles, weißes Roß durch die Luft dahin. Er verlieh den tapfersten
Helden Sieg und ließ sie, wenn sie in der Schlacht gefallen, durch
seine Töchter, die Walküren, nach Walhalla bringen. Dort wurden
die Helden mit Lied nnd Gesang empfangen. Mit Wodan durchzogen
sie die Jagdgründe des Himmels, mit ihm setzten sie sich zu Tische,
schmausten von dem Eber, der stets wieder heil und ganz ward, und
tranken Met aus großen Hörnern. Dem Wodan war der Mittwoch
geweiht, der früher Wodanstag hieß. Zur Zeit der Wintersonnenwende
hielt Wodan seinen Umzug mit dem wütenden Heere; dann war das
große Julsest, das zwölf Nächte dauerte. An die Stelle des Julfestes
ist unser Weihnachtsfest getreten. — Wodans gewaltigster Sohn hieß
Donar. Von ihm hat der Donnerstag feinen Namen. Donars Bart
war feuerrot, feine Waffe ein gewaltiger Hammer, den kunstgeübte
Zwerge geschmiedet hatten. Blies er in den Bart, so sprühten Blitze
heraus, schlug er mit dem Hammer gegen den Schild der ungefügen
Riesen, so grollte Donner durch die Luft; Regen rauschte hernieder und
machte das Land fruchtbar. Daher war Donar der Liebling der Bauern.
Ihm zu Ehren loderten in der Sommerzeit auf den Bergen Holzstöße
von Eichen, Erlen und Bocksdorn. — Ziu wurde als Kriegsgott verehrt.
Sein Tag war der Dienstag oder Ziustag. Ihm zu Ehren stimmten
bie Krieger Kriegsgesänge an, und ihm galten die Schwerttänze der
Jünglinge.
2. Göttinnen. Die lieblichste Göttin war Ostara, Donars
Schwester; sie warb als Frühlingsgöttin verehrt. Ihr Fest siel in
biefelbe Zeit, in ber wir bas Osterfest feiern. Der Name bes Oster¬
festes unb bie Osterfeuer erinnern noch jetzt an btefe Göttin. Neben
Ostara würbe befoubers Freia als Göttin verehrt. Von ihr hat ber
Freitag feinen Namen. Wo Freia hinkam, verbreitete sie Frieben unb
Fruchtbarkeit. Die Erbe schmückte sich mit frischem Grün, unb Halme
entsprossen bem Acker. Weil sie holb unb srennblich war, nannten bie
Menschen sie auch Frau HnIba ober Holle. Auf einem mit Katzen
bespannten Wagen fuhr sie einher; unb wollten bie Bräute zur Hochzeit
gutes Wetter haben, so versäumten sie nicht, bie Lieblinge ber Göttin
gut zu füttern. — Schrecklich aber war Hel ober Hella, bie Göttin
ber Unterwelt unb bes Tobes. Ihr Reich war bas, was wir noch jetzt
unter bem Namen Hölle kennen.
3. Am Opferstein. In heiligen Hainen, auf Bergesspitzen oder an rauschenden
Quellen standen die Opfersteine oder Altäre. Die Umgebung des Altars war ein¬
gehegt und durch Wächter geschützt. An den Bäumen, die den Opserstein umstanden,
hingen die gebleichten Schädel der Opfertiere. Des Nachts, zur Zeit des Voll- und
Neumondes, fand die Verehrung der Götter statt. War die Gemeinde versammelt,
so wurde das Feuer aus dem Altare angezündet, vom Priester das Opfertier ge¬
schlachtet, ein Teil des Fleisches verbrannt und das andere verzehrt. Die ganze Nacht
wurde dann im Dienste der Götter und beim Schmause zugebracht. Wodans Opfer-
tier war das Pferd. Dem Donar opferten unsere Vorfahren Ochsen und Böcke und
Besprengten mit dem Blute derselben die Eiche, den geweihten Baum Donars. Höl-