Full text: Vom Westfälischen Frieden bis zur Gegenwart (Teil 9)

§58 Vierter Zeitraum von 1852 bis zur Gegenwart. 
liberalen" — die Mehrheit des neuen Landtages hatten. Aber das alte 
Mißtranen gegen die Regiernng mürbe schnell wieder wach, weil das 
Herrenhans ein Hort der Reaktion blieb, und über die wichtigste und 
dringendste Aufgabe des neuen Preußens, die Heeresreform, brach 
ein unseliger Zwist zwischen Regierung und Parlament aus. 
Die Heeres- Die Mobilmachungen der letzten 10 Jahre, besonders gerade die 
reform. tiom Jahre 1859, hatten den Prinzen von Preußen, den besten 
Kenner der preußischen Armeeverhältnisse, von der UnHaltbarkeit der 
sie hatte wohl in den schweren Zelten der 
preußischen Erhebung als Notbehelf genügt, aber sie entsprach mit ihm 
Verkoppelnng der Linien- und Landwehrformationen und ihrem 
im Verhältnis aur Bevölkerungszahl^mel^u aernnse n^Ueltande weder 
den Anforderungen der Neuzeit noch den großen Aufgaben Preußens1). 
Der Argwohn der Liberalen, die in der Zurückstellung der Land- 
wehr eine Mißachtung des freiheitlichen „Volksheeres" und in der 
Armeeverstärkung eine absolutistische Maßregel sahen, wurde durch 
die Berufung des konservativen Generals von Rooit2) zum Kriegs- 
1) Bei der Heeresreform handelte es sich im wesentlichen um folgendes: 
Obgleich die Bevölkerungszahl seit 1815 vou 10 auf 18 Millionen gestiegen war, 
hatte man aus Sparsamkeitsgründen an dem alten Jahreskontingent von 40 000 Mann 
festgehalten, fo daß jährlich 23000 diensttaugliche junge Leute nickt ausgebildet 
wurden. Die allgemeine Welirvilickt^ war demnach noch nicht"mrchgesührt. Die 
HeereZreform bezweckte also erstens die Erhöhung bT<r*yat/rIichen Koutin- 
gents auf 63000 Mann. Weiter war dadurch, daß jede Jnfanteriebrigade (ähnlich 
war es bei der Kavallerie) aus einem Linien- und einem Landwehrregimente 
bestand, bie Kriegsfähigkeit des Heeres sehr vermindert, da die Mobilmachung gleich 
die älteren Lanbwehrtruppen vor ben Feind brachte, während die zurückgestellte junge 
Mannschaft als Ersatz diente. Die zweite Forderung ging also dahin, die Ver- 
schmelznng von Linie und Landwehr aufzuheben und durch Einstellung von Rekruten 
in Ine mobilen Land Wehrformationen diese in Linienformationen umzuwanbeln. 
Die neue Ordnung, bie 118 neue Bataillone unb 10 neue Kavallerieregimenter schuf, 
ergab für ben Kriegsfall"ein Linienheer von 400 000 Mann, hinter betn noch eine 
Lanbwehrarmee von etwa einer Viertelmillion stand. Drittens wurde die 
Dienstzeit in Linie und Reserve von 5 aus 7 Jahre erhöht, in der Landwehr von 
7_..aus ü hnabgesetzt. Natürlich brachte die Reform auch eine bedeutende BerRarTML 
beäJ24£ip-ßxJ o rtz^s mit sich. 
2) Albrecht von Roon, 1803 als Sohn eines verarmten pommerschen Ritter- 
gntsbesitzers geboren, zeigte schon als angehenber Offizier lebhafte wissenschaftliche 
Interessen, namentlich für bas Fach ber Erdkunde, das damals durch feinen Lehrer 
Karl Ritter an ber Berliner Universität eigentlich erst tiegrünbet würbe. Er selbst 
verfaßte mehrere militärgeographische Werke. 1849 war er unter betn Prinzen Wilhelm 
v. Preußen Generalstabschef im badischen Aufstande, und bei dieser Gelegenheit trat 
ihm die Notwendigkeit einer Reorganisation des preußischen Heerwesens 
(namentlich der wenig schlagfertigen Landwehr) entgegen. Prinz Wilhelm, der die¬ 
selbe Überzeugung hatte, beauftragte ihn, als er die Regentschaft übernahm, mit der 
Ausarbeitung eines Reorganifationsplanes, der einer Beratuugskornrnifsion als 
Grundlage dienen sollte.' Um sie vor dem Parlamente zu vertreten, wurde Roon zum 
Kriegsminister ernannt.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.