262 Vierter Zeitraum von 1852 bis zur Gegenwart.
neuen deutschen Mittelstaates, zumal in einer strategisch uud Wirt-
schaftlich für ganz Norddeutschland so hervorragend wichtigen
Lage, eine schwere Schädigung für Preußen bedeuten, ja seine deutsche
Aufgabe überhaupt in Frage stellen würde. Um was es sich für Preußen
in der Schleswig-Holsteinischen Frage handelte, zeigten die sog. „Februar-
bedingungen" (1865), unter denen schließlich doch König Wilhelm den
Erbprinzen Friedrich als Herzog anerkennen wollte: Anschluß der schles-
wig-holsteinischen Streitkräfte, zu Wasser und zu LaM ai! Preußen,
Besetzung der wichtigsten strategischen Punkte des Landes durch Preußen,
Abtretung des Kieler Hafens, und eines Landstriches für einen znkünf-
tigen Nor'd-Östseekanal, Anschluß an den Zollverein und Vereinigung
des Post- und Telegraphenwesens. Als der Erbprinz diese Bejchrün-
knngen seiner Hoheitsrechte zurückwies, schien der Krieg unvermeidlich,
zumal da der Bundestag mit Österreichs Zustimmung die Zulassung
des Erbprinzen als „Regenten" beschloß; doch kam es auf Preußens
energischen Einspruch noch einmal zu einer Einigung zwischen den beiden
Großmächten im Gasteiner Vertrage, kraft dessen die Verwaltung
Holsteins an Österreich (Gablenz), diejenige Schleswigs an Preußen
(Mantenffel) überging1) und Preußen das Herzogtum Lauenburg
von Österreich erwarb.
Neue Schwierig- Der neue Zustand war ebenso unhaltbar wie das „Kondominium",
ketten. c$n Wirklichkeit gab es für Österreich bei der Schleswig-Holsteinifchen
Frage nur zwei' Gesichtspunkte: - es wollte' seine Vormachtstellung im
Deutschen Bunde unbedingt festhalten und eine territoriale Vergrößerung
seines Nebenbuhlers ohne eigene Entschädigungen nicht zulassen. Da
aber Österreich die erhoffte Abtretung Schlesiens nicht erreichen konnte,
so suchte es Preußen möglichst ins Unrecht zu setzen und beantragte, der
öffentlichen Meinung in Deutschland klug entgegenkommend, beim Bundes-
tage die „Bezeichnung des berechtigten Herzogs von (Schleswig-Holstein"
(März 1866). Zugleich begannen beide Gegner neben scharfen diplo-
matifchen Auseinandersetzungen zu rüsten und Bundesgenossen zu suchen.
Gern hätte Napoleon III. tätig in die sich vorbereitenden Wirren ein-
gegriffen, um als „Schiedsrichter Europas" dazustehen und auch für
Frankreich Vorteile zu erringen; aber die mexikanische Angelegenheit be¬
hinderte ihn noch immer, und so begnügte er sich, in doppelzüngiger
Diplomatie die Gegensätze zu verschärfen und zugleich mit jeder Partei
gesondert über etwaige „Kompensationen" zu verhandeln. Es war ein
Meisterstück Bismarcks, daß er, obwohl er nicht gewillt war, auch nur
einen Fußbreit deutscheu Bodens an Frankreich abzutreten, sich der Ver-
mittluug Napoleons zum Abschluß eines Bündnisses mit Italien be-
diente, das auf die Erwerbung Venetiens brannte.
1) Kiel, das Preußen schon während des „Kondominiums" zur Hauptstation
seiner Marine gemacht hatte, blieb Bundeshafen unter preußischem Kommando.