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Zwar kam sie siegreich bis an den Indus, aber sie erlitt hier eine furcht¬
bare Niederlage und entkam nur mit dem kleinsten Theile ihres Heeres.
Später wurde Semiramis wahrscheinlich heimlich von ihren Feinden ge-
tödtet; denn sie verschwand plötzlich. Unter dem Volke aber verbreitete
sich die Fabel, sie sei in Gestalt einer Taube aus dem Palaste geflogen
und unter die Götter versetzt. Bon den vielen andern Fabeln, die sich
nach und nach über sie bildeten, will ich euch nur eine erzählen. Wahr¬
scheinlich wird sie euch Vergnügen machen. Semiramis war die Tochter
der syrischen Göttin Derketo und wurde von dieser bald nach ihrer
Geburt ausgesetzt. Da kamen aber eine Menge Tauben zu dem hüls-
loseu Kinde, wärmten sie mit ihren eigenen Körpern und holten in ihren
Schnäbeln Milch ans den umliegenden Hirtenhäusern für sie. Als Se¬
miramis größer wurde und kräftigere Speise verlangte, pickten die Tau¬
ben von den Käsen, die draußen zum Trocknen lagen, Brocken ab und
fütterte« sie mit diesen. Einer der Hirten hatte aber gesehen, was die
Tauben machten, ging ihnen nach, fand das Kind, nahm es, weil er selbst
kinderlos war, zu sich und gab ihm den Namen Semiramis, was so¬
viel als Taube bedeutet haben soll. Semiramis wuchs zu einer blühen¬
den Jungfrau heran, wurde zuerst die Frau eines assyrischen Statthalters
und nach dessen Tode die Gemahlin des Ninus. — Ihr Nachfolger war
der weibische Niuyas, der natürlich gar nicht im Stande war, ein so
großes Reich zn beherrschen. Ihre Nachkommen regierten bis zum Jahre
800; dann kam ein anderes kräftiges Geschlecht (mit BeletLros, bisher
Aufseher der königl. Gärten) auf den Thron. Einige Glieder dieser
Königsfamilie kennt ihr schon aus der Bibel: 1. Phul macht 770 die
Israeliten zinspflichtig; 2. Tiglath Pilksar macht 740 das Reich
Juda tributpflichtig; 3. Salmauassar erobert 720 das ungehorsame
Samaria und führt die Israeliten nach Ninive in die Gefangenschaft;
4. Sanherib greift 714 den König Hiskia von Juda an und erleidet
bei der Belagerung Jerusalems eine große Niederlage.
Der letzte König dieses Geschlechts war Sardanapäl, ein Mensch,
der sich durch sein weichliches, unmännliches Wesen berüchtigt gemacht
hat. Um die Regierung bekümmerte er sich gar nicht, sondern saß in
der Burg bei den Frauen, gepntzt und geschminkt wie diese, und spielte
oder spann Wolle mit ihnen. Seine Unthätigkeit wurde natürlich bald
bei den benachbarten Völkern bekannt, und der Statthalter Nabop o-
lässar von Babylon und der König Kyaxares*) ^Kü-äxares) von
Medien (östlich von Assyrien und südlich vom Caspisee) schlossen ein
Bündniß mit einander, um Assyrien über den Hansen zn werfen. Mit
großer Heeresmacht rückten sie auf Ninive los, wurden aber von Sar-
danapal, der sich in dieser Noth aus seinem weichlichen Leben herausriß,
dreimal geschlagen und mußten sich zurückziehen. Nach dem letzten Siege
*) Kyaxares wird auch wol ^rbakes genannt.