Full text: (Für das 8. und 9., resp. 10. Schuljahr) (Band 4, [Schülerband])

422 
aus ihrer anmutvollen Hülle uns entgegenlacht: da weckt sie die zar¬ 
testen Regungen unseres Innern, da sacht sie die Glut unserer Em¬ 
pfindungen zu lichter Flamme an, und Ehrfurcht und Anbetung alles 
dessen, was es Großes und Erhabenes, was es Würdiges und Heiliges 
giebt, sind die Früchte, welche wir dem Umgänge mit ihr verdanken. 
So hätten wir ihn denn entschleiert den geheimnisvollen Zauber, 
den die Natur auf uns ausübt. Sie, die nichts anderes ist, als der 
unmittelbare Ausfluß des göttlichen Wesens; sie, die überall durchweht 
ist von dem Hauch seiner Liebe — wie könnte sie anders als erhebend 
und verklärend auf uns einwirken! Sie weckt und fördert in uns 
die Erkenntnis des höchsten Wesens; aus der Zweckmäßigkeit ihrer 
Einrichtungen, aus dem gesetzlichen Walten in ihren Erscheinungen 
erkennen wir seine Weisheit, aus ihrer Pracht und ihrer Schönheit 
seine Güte, aus ihrer Fülle und ihrem Reichtum seine Liebe. Und 
will uns bange werden bei der Leere unseres Herzens; werden wir 
von Unmut und Zweifeln geplagt: so mögen wir getrost an ihrem 
Quell uns laben; er sprudelt ewig klar und hell, erbesitzt die geheim¬ 
nisvolle Kraft, den Frieden in uns herzustellen, nach dem wir unab¬ 
lässig streben, in dem das wahre Glück des Lebens ruht. 
Rudolph. 
99. Der Wald in der Poesie. 
den Lieblingen der deutschen Poesie hat von jeher der Wald 
gehört. Von ihm ist gesungen worden fast so lange, als es eine Poesie 
giebt. War doch selbst die Religion der alten Germanen vorzugsweise 
ein Waldkultus und das Rauschen der Bäume das Wiegenlied ihrer 
Kinder. In der Neuzeit haben vornehmlich die Romantiker den Wald 
in ihren Liedern verherrlicht. Tieck fordert in seinem Gedichte „Wald¬ 
einsamkeit" alle von Sorgen Belasteten auf, sich in die Stille des Waldes 
zu flüchten, um dort ihre Sorgen zu vergessen, denn in dem süßen 
Waldesschatten wohne die Herzensfreudigkeit. Er singt: 
„Kommt, ihr Beengten, 
Herzbedrängten, 
Entfliehet, entreißt euch der Qual! 
Es beut die Natur, 
Der freundliche Himmel 
Den hohell, gewölbten Saal. 
Entflieht dem Getümmel! 
Auch Eichendorff hat dem Walde in dem Gedichte: „Der Jäger- 
Abschied" ein schönes Lied gewidmet, in welchem er jede Strophe, mit 
i
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.