Full text: Schleswig-holsteinischer Kinderfreund

Erzählungen und Gedichte. 
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Als der Kranke so mit sich reden hörte, ließ er sich sogleich den andern 
Morgen die Stiefel salben und machte sich aus den Weg, wie ihm der Dok¬ 
tor befohlen hatte. Den ersten Tag ging es so langsam, daß wohl eine 
Schnecke hätte können sein Vorreiter sein; und wer ihn grüßte, dem dankte 
er nicht, und wo ein Würmlein auf der Erde kroch, das zertrat er. Aber 
schon am zweiten und am dritten Morgen kam es ihm vor, als wenn die 
Vögel schon lange nicht mehr so lieblich gesungen hätten wie heut; und der 
Tau schien ihm so frisch und die Kornrosen im Felde so rot, und alle Leute, 
die ihm begegneten, sahen so freundlich aus, und er auch. Und alle Morgen, 
wenn er aus der Herberge ausging, war's schöner, und er ging leichter und 
munterer dahin. Und als er am achtzehnten Tage in der Stadt des Arztes 
ankam und den andern Morgen aufstand, war es ihm so wohl, daß er 
sagte: „Ich hätte zu keiner ungeschickteren Zeit können gesund werden als 
jetzt, wo ich zum Doktor soll. Wenn's mir doch nur ein wenig in den 
Ohren brauste oder mir das Herzwasser liefe!" Als er zum Doktor kam, 
nahm ihn der bei der Hand und sagte zu ihm: „Jetzt erzählt mir denn 
noch einmal von Grund aus, was Euch fehlt." Da sagte er: „Herr Dok¬ 
tor, mir fehlt gottlob nichts; und wenn Ihr so gesund seid wie ich, so soll's 
mich freuen!" Der Doktor sagte: „Das hat Euch ein guter Geist geraten, 
daß Ihr meinem Rat gefolgt seid. Der Lindwurm ist jetzt abgestanden. 
Aber Ihr habt noch Eier im Leibe; deswegen müßt Ihr wieder zu Fuß 
heimgehen und daheim fleißig Holz sägen, daß es niemand sieht, und nicht 
mehr essen, als Euch der Hunger ermahnt, damit die Eier nicht ausschlüpfen; 
so könnt Ihr ein alter Mann werden," und lächelte dazu. Aber der reiche 
Fremdling sagte: Herr Doktor, Ihr seid ein feiner Kauz, und ich verstehe 
Euch wohl!" und hat nachher den Rat befolgt und 87 Jahre 4 Monate 
10 Tage gelebt, wie ein Fisch im Wasser so gesund, und hat alle Neujahr 
dem Arzt 20 Dukaten zum Gruß geschickt. Hebel. 
63. Belsazar. 
1. Die Mitternacht zog näher schon; 
in stummer Ruh' lag Babylon. 
2. Nur oben in des Königs Schloß, 
da flackert's, da lärmt des Königs Troß. 
3. Dort oben in dem Königssaal 
Belsazar hielt sein Königsmahl. 
4. Die Knechte saßen in schimmernden Reih'n 
und leerten die Becher mit funkelndem Wein. 
5. Es klirrten die Becher, es jauchzten die Knecht'; 
so klang es dem störrigen Könige recht.
	        
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