Full text: Handbuch der brandenburgisch-preußischen Geschichte (Bd. 2)

II 487 
2. Wie Kaiser Wilhelm sich durch Demut vor Gott, so zeichnete 
er sich durch Wohlgeneigtheit und Dankbarkeit gegen seine 
Mitmenschen aus. Dies zeigte sich besonders in dem Verhältnisse 
zu seinen treuen Dienern und Helfern: Fürst Bismarck, Graf Moltke 
und Kriegsminister Roon. Kaiser Wilhelm hatte die Neugestaltung des 
preußischen Heeres lange und sorgfältig vorbereitet; er hatte mit allen 
Kräften daran gearbeitet, ehe er den Thron bestieg, und seine ganze 
Macht und Würde dafür eingesetzt, nachdem er König geworden war. 
Ihm war es zu danken, daß die großen Kriege von 1866 und 1870 
mit solcher Kraft geführt werden konnten. Trotz seines hohen Alters 
von mehr als siebzig Jahren zögerte er nicht, selbst in den Kampf zu 
ziehen und die Mühen und Beschwerden der Feldzüge auf sich zu nehmen. 
Aber ungeachtet aller dieser Verdienste ließ er niemals seine eigene 
Person in den Vordergrund treten, sondern er hob immer die Verdienste 
seiner Diener und Helfer hervor. Er freute sich, weun ihre Namen 
bekannt und berühmt wurden, und belohnte sie mit allen Mitteln, die 
ihm zu Gebote standen. 
3. Die großen Erfolge, die Kaifer Wilhelm in feinern Leben er¬ 
rungen hat. sind in erster Linie durch den Fleiß und die Pflicht¬ 
treue hervorgebracht worden, die er sein ganzes Leben hindurch geübt 
hat. Schon an dem dreizehnjährigen Knaben rühmte sein Erzieher 
„einen praktischen Verstand, große Ordnungsliebe und einen für fein 
Alter ernsten und gesetzten Charakter". Schon damals lag in ihm der 
wahre zuverlässige Soldat und Anführer. In der langen Zeit, die 
zwischen den Befreiungskriegen und seiner Thronbesteigung lag, war sein 
Leben täglich dem anstrengenden Heeresdienste geweiht, und er war ein 
leuchtendes Beispiel von Fleiß und Pflichttreue für alle seine Unter- 
gebenen. Niemals machte er Anspruch darauf, um seiner hohen Stellung 
willen weniger leisten zu müssen als andere, im Gegenteile zeigte er sich 
so pünktlich und eifrig im Dienste wie wenige. Als König sehen wir 
ihn unermüdlich tätig. Kein Tag verging bei ihm, selbst im spätesten 
Greisenalter, an dem er nicht den Rat der Minister anhörte, Bittsteller 
empfing, Verordnungen und Gesetze erließ. Oftmals setzte er sich noch 
zu später Nachtstunde, wenn er aus dem Theater kam, an den Arbeits¬ 
tisch. In feinen Geschäften erschien ihm nichts zu klein oder zu unbe¬ 
deutend, so daß es hätte vernachlässigt werden dürfen, fondern mit pein¬ 
licher Sorgfalt und höchster Genauigkeit erfüllte er alle Pflichten, die 
ihm oblagen. Wie eifrig endlich war er bei den Truppenbesichtigungen! 
Jeder wußte, daß der Kaiser auch nicht eine Minute nach der ange¬ 
setzten Zeit kam, und kein Wetter hielt ihn ab, sich von der Tüchtig¬ 
keit seiner Truppen zu überzeugen. Diese Pflichttreue veranlaßte ihn 
auch, selbst in den Krieg zu ziehen, und gerade dies war von der 
höchsten Wichtigkeit. Denn Mut und Tapferkeit besaßen auch die 
Gegner; was ihnen aber fehlte, war Pflichttreue und Einsicht der 
Führer und die entschlossene Leitung eines Monarchen. — Bis zum 
letzten Augenblicke beseelte diese Pflichttreue den greisen Kaiser. Wenige 
Stunden vor seinem Tode unterschrieb er noch mit zitternder Hand die
	        
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