36 I. Zeitr. Von 113 vor Chr. Geb. bis 768 nach Chr. Geb.
verändert. Jeder Hausvater lebte als freier Mann auf seinem Hofe; Jagd und
Krieg waren, nach wie vor, ihre Lieblingsbeschäftigungen, und daher setzten sie
so hohen Werth auf alles, was dazu gehörte, daß z. B. in den alemannischen
Gesetzen auf den Diebstahl eines guten Jagdhundes eine Strafe von 16 Schil¬
lingen, auf den eines abgerichteten Falken, der einen Kranich fing, 6 Schillinge
gesetzt waren, während ein Pferd nur 6 und eine Kuh gar nur 1 Schilling kostete.
Das Leben in Städten haßten sie noch immer; es erschien ihnen als eine
Art Gefangenschaft; daher waren auch in ganz Deutschland keine Städte zu
finden, als da, wo die Römer schon früher welche angelegt hatten, in denRhein-
und Donaugegenden. Die Städte Köln, Deutz, Bonn, Andernach, Coblenz,
Bingen, Mainz, Worms, Speier, Straßburg, Basel, Augsburg, Regeusburg,
Passau, Wien sind malt und stammen aus der Römerzeit her.
In diesen Städten waren auch schon vielerlei Handwerke und Künste im
Gange; da hatten die Römer nach ihrer Art prächtige Gebäude ausgerichtet,
Schauspielhäuser und Bäder angelegt und die Lust an verfeinerter Lebensart
eingeführt. Es wurde viel Handel getrieben, gute Landstraßen führten von einem
Ort zum andern, und die Einwohner dieser Städte waren ein seltsames Gemisch
von Deutschen, Römern, in einigen auch von Galliern, und sogar vielen Juden,
welche sich des Handels bemächtigt und große Reichthümer gesammelt hatten.
Kam man dagegen ins Innere Deutschlands, so war es, als käme man in eine
ganz andere Welt. Die Menschen lebten sämmtlich als Ackerbauer auf ihrem
Erbe; in manchen Gegenden nicht einmal in Dörfern vereinigt. Jede Haus¬
haltung war ein geschlossenes Ganze für sich; was sie gebrauchte, wußte sie auch
selbst zu erwerben und selbst zu bereiten. Der Acker und die Jagd lieferten
die tägliche Nahrung; aus dem Flachs und aus der Wolle der eigenen Heerde
bereiteten bie Frauen die Kleidung; die Geräthe des Hauses und Ackers ver¬
fertigte der Mann mit ben Knechten; auch bie Häuser wußte er zu bauen unb
auszubessern; unb so war eine jebe Haushaltung sich selbst genug. Es war
ein höchst einfacher, natürlicher Zustand.
Auch die alte bürgerliche Einrichtung war unverändert geblieben. Die Her¬
zöge, die Grafen, die Aeltesten verwalteten in jedem Volke das Recht und ord¬
neten die gewöhnlichen Angelegenheiten; über wichtigere Sachen wurde die Volks¬
gemeinde berufen. Uebrigens waren die Rechte aller freien Männer dieselben
und sie selbst machten den Kern des ganzen Volkes aus.
Bei den deutschen Völkern dagegen, die gewandert waren, oder, wie die
Franken, in andern Ländern Eroberungen gemacht hatten, waren wesentliche
Veränderungen vorgegangen.
Diejenigen, welche in ganz fremde Wohnsitze kamen, wo sie schon Einwohner
von anderm Stamme fanden, hielten sich von diesen zwar in der ersten Zeit
abgesondert und betrachteten sie wie ein unedleres Menschengeschlecht; nach und
nach aber konnte es nicht ausbleiben, daß sie sich mit ihnen vermischten und
viel von ihren Sitten und von ihrer Sprache annahmen. So entstanden in
Italien, Frankreich, Spanien und Portugal gemischte Völker mit einer neuen
Sprache, worin die alte römische oder lateinische Sprache, weil sie die ausge¬
bildetste war, vorherrschte. Bei den Sachsen, Thüringern, Baiern, Alemannen
dagegen und auch in den alten Wohnsitzen der Franken am Rheine, blieb die
ächte deutsche Sprache, die wir jetzt noch reden, obgleich sie sich seit tausend