Full text: Kurze Darstellung der deutschen Geschichte

Kaiser Karls Tod. 814. 49 
vom Kopfe bis zu den Füßen durchnäßt, von den seidenen Mänteln blieb bald 
hier, bald da ein Stück in den Dornen hängen, und die Zähne klapperten allen 
vor Frost. Der Kaiser that, als ob er die klägliche Verfassung seiner Hofleute 
gar nicht bemerkte, sondern jagte nach Herzenslust, bis er selbst müde war, und 
kehrte endlich gegen Mittag nach Hause zurück. Er, in seinem tuchmen Rocke 
und der warmen Weste aus Otterfellen, befand sich recht wohl und stellte sich 
an den Kamin, um seine Kleider zu trocknen. So wie aber die feinen Hofleute 
sich auch heranstellten, um die kalten Glieder zu erwärmen, so schrumpfte das, 
was sie noch von seidenen Kleidern an sich hatten, ganz zusammen und zerriß 
noch mehr, — bis endlich Karl, nachdem er sie genugsam beschämt glaubte, 
ihnen befahl, nach Hause zu gehen und warme vaterländische Kleidung anzulegen. 
26. Kaiser Karls Tod. 814. 
Karl hatte noch den Kummer, daß zwei seiner Söhne, und zwar die vor¬ 
züglicheren, Karl und Pippin, vor ihm starben; Ludwig blieb allein übrig. 
Es war ein harter Verlust für den alten Vater, der seine Kinder außerordentlich 
liebte; er hatte drei Söhne und drei Töchter gehabt, und sie auf das beste 
erzogen. Die Söhne lernten nicht nur, was ein Edelmann damaliger Zeit wis¬ 
sen mußte, alle ritterlichen Uebungen, sondern auch, was zu ihrer Geistesbildung 
gehörte, und die Töchter arbeiteten aufs fleißigste in allen weiblichen Künsten, 
im Spinnen, Weben, Nähen und in Stickerei. Nie aß Karl ohne seine Kinder, 
und auch auf Reisen mußten sie ihn zu Pferde begleiten. 
Als der alte ehrwürdige Kaiser über 70 Jahre alt war und öfters Fieber 
seinen sonst so kräftigen Körper angriffen, fingen seine Getreuen an, für sein 
Leben besorgt zu sein, und ihre Angst brachte sie dahin, daß sie alles, was sich 
irgend Unerwartetes zutrug, aus seinen baldigen Tod deuteten. So ereigneten 
sich mehrere Finsternisse an Sonne und Mond; die kaiserliche Burg zu Aachen 
wurde Don Erdbeben erschüttert; ja der Säulengang, der dieselbe mit dem gro¬ 
ßen Münster verband, stürzte plötzlich, am Himmelfahrtstage bis auf den Grund 
zusammen. Die große hölzerne Brücke über Den Rhein bei Mainz, woran zehn 
Jahre gebaut war, wurde binnen drei Stunden vom Feuer verzehrt. Als Karl 
im Jahre 810 den letzten Zug gegen den Dünenkönig Gottfried machte und 
eines Morgens früh ausgeritten war, fuhr plötzlich eine Feuerkugel quer vor 
ihm vorüber und machte sein Pferd so scheu, daß es niederstürzte und ihn selbst 
hart zu Boden warf. Die Spange seines Mantels zerbrach und das Wehr- 
gehenk riß entzwei; doch wurde er selbst von den herbeieilenden Dienern unbe¬ 
schädigt aufgehoben. Alle diese und andere Vorfalle erfüllten die ©einigen mit 
Angst; er selbst aber achtete nicht darauf. 
Im Januar des Jahres 814 wurde er von einem starken Fieber mit 
Seitenstichen befallen; sein gewöhnliches Heilmittel, womit er sich sonst immer 
geholfen, nämlich Fasten, vermochte diese Krankheit nicht zu brechen. Am Mor¬ 
gen des 28. Januar, um die fünfte Stunde, fühlte er die Nähe des Todes, 
hob die rechte Hand kräftig in die Höhe unb drückte auf Stirn, Brust und Füße 
das Zeichen bes heiligen Kreuzes. Dann streckte er die Hände noch einmal aus, 
faltete sie über der Brust, schloß die Augen und sang mit leiser Stimme: „In 
deine Hände befehle ich meinen Geist!" — und starb. Er war 72 Jahre alt 
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