50 II. Zeitr. Das Mittelatter. Von 768 bis 1517.
geworden und hatte beinahe 46 Jahre regiert. — Sein Tod verbreitete eine
tiefe Trauer über das ganze große Reich.
Der Leichnam des verstorbenen Kaisers wurde gewaschen, geschmückt, gesalbt,
und in der kaiserlichen Gruft in der Kirche, die er selbst gebaut, beigesetzt. Im
vollen kaiserlichen Schmucke, mit einem Evangelienbuche auf den Knieen, einem
Stück des heiligen Kreuzes auf seinem Haupte, und der goldenen Pilgertasche
um die Hüfte, fetzte man ihn in aufrechter Stellung auf einen goldenen Stuhl,
füllte die Gruft mit Weihrauch, Balsam, köstlichen Spezereien und vielen Schä¬
tzen, und verschloß und versiegelte sie.
Bald 200 Jahre nach dieser Zeit eröffnete Kaiser Otto III. das Grab
Karls des Großen. Man fand den einbalsamirten Körper des Kaisers noch
sitzend auf dem Stuhle, im kaiserlichen Schmucke, und neben ihm Scepter und
Schild. Otto nahm ehrfurchtsvoll ein goldenes Kreuz von des Leichnams Brust,
um es auf der feinigen zu tragen, und verschloß die Gruft. Hundert fünfzig
Jahre später, im Jahr 1165, öffnete Kaiser Friedrich I. dieselbe wiederum und
ließ die Gebeine Karls des Großen m ein prächtiges Grabmal legen.
27. Ludwig der Fromme. 814—840.
Ludwig der Fromme, der übriggebliebene Sohn Karls des Großen,
war dem Vater nicht gleich. Zwar war in ihm das edle Geschlecht, aus wel¬
chem er stammte, noch immer zu erkennen: er war ein stattlicher Mann und in
allen Künsten, die den Ritter zierten, wohl geübt; allein sein Geist war nicht
stark genug, um das große zusammengesetzte Reich klug zu regieren. Er war
zu nachgiebig und fehlte besonders darin, daß er seinen drei ältesten Söhnen,
Lothar, Pippin und Ludwig, sobald sie erwachsen waren, einem jeden
einen Theil des Reiches übergab und für sich nur die obere Aufsicht zurückbe¬
hielt. Er glaubte, als Vater fein Ansehen schon behaupten zu können. Allein
den Söhnen gefiel das Herrschen gar zu wohl, und als nun der Vater noch
einen Sohn, Karl, von seiner zweiten Gemahlin, Judith, bekam und diesem
auch ein Stück Land geben wollte, wollte keiner der andern Brüder von seinem
Theil irgend etwas abtreten. Daraus entstand Unwillen, zuletzt gar Krieg zwi¬
schen Vater und Söhnen; und es kam dahin, daß Ludwig von dem ältern,
Lothar, gefangen genommen wurde. Dieser behandelte den alten Vater auf das
schmählichste: er mußte öffentlich in der Kirche zu Soiffons Buße thun und
sich selbst darüber anklagen, daß er so schlecht regiert und gegen ferne eigenen
Söhne Krieg geführt habe; und der schwache Vater ließ sich das alles gefallen.
Lothar dachte ihn dadurch in den Augen der Franken verächtlich zu machen; aber
er erregte mehr den Unwillen der Rechtlichgesinnten gegen sich selbst; rmd auch
den zweiten Sohn Ludwig, welcher nachher den deutschen Theil des Reiches ge¬
erbt und in der Geschichte den Namen Ludwig der Deutsche erhalten hat, ver¬
droß die arge Mißhandlung seines Vaters; er zwang seinen Bruder Lothar,
denselben wieder in Freiheit zu setzen. Allein die Uneinigkeit nahm doch sehr
bald wieder ihren Anfang, und Ludwig der Fromme ist in Kummer und Jam¬
mer auf einer Rhein-Insel in der Gegend von Ingelheim, nicht weit von Mainz,
840 gestorben.