Full text: Grundriß der deutschen und preußischen Geschichte

Rückblick auf das geistige Volksleben Deutschlands rc. 147 
Neben der Dichtkunst nahmen auch die Wissenschaften, besonders die Theo¬ 
logie, Philosophie, Geschichtsschreibung und Pädagogik einen gewaltigen Aufschwung. 
Unter den protestantischen Kirchenlehrern redeten die einen (Supranaturalisten) 
in ihren Erbauungsschriften der Strenggläubigkeit das Wort (Lavater), während 
andere (Rationalisten) der menschlichen Vernunft und dem Denkvermögen das 
höchste Urtheil in göttlichen Dingen zuerkannten (Nicolai, Buchhändler und Schrift¬ 
steller in Berlin). Der Philosoph Jakobi und Genossen wollten die Religion zur 
Sache des Gefühls machen. — Als Philosoph glänzte der scharfdenkende Kant 
(1724—1804) in Königsberg, der ein Lehrgebäude aufstellte, das bald auf alle 
Wissenschaften einen unverkennbaren Einfluß ausübte; sein Schüler war der große 
Fichte (1762—1814), dessen Name durch seine in Berlin gehaltenen „Reden an 
die deutsche Nation" im ehrenvollen Andenken blieb. — Unter den Historikern 
brilliirten Joh. Müller (1752-1809) und Spittler (1752—1810) und in dem 
Schul- und Erziehungswesen begründeten Basedow (Philantropinum zu Des- 
sau), Campe und Salzmann und der Schweizer Heinr. Pestalozzi (1746 — 
1827) eine neue Aera. (Pestalozzi's Lienhard und Gertrud rc.). 
2. Das 19. Jahrhundert, a.) Dichtkunst. Nachdem die politischen 
Stürme, welche zu Ende des vorigen und zu Anfang dieses Jahrhunderts Europa 
erschütterten, sich ausgetobt hatten, trat wieder eine Umkehr auf dem Gebiete der 
Dichtkunst ein. Die Gebrüder A. W. (1767—1845) und Friedr. Schlegel 
(1772—1829), von Hardenberg (Novolis) (1772-1801), Ludwig Tieck 
(1773—1853) rc. waren die Schöpfer der neuromantischen Literatur und 
Kunst, welche der nüchternen und verstandesmäßigen Ausklärung damaliger Zeit den 
Rücken wandte und ihre Blicke auf das deutsche Mittelalter mit seinem Ritterthum 
und Minnewesen, seiner Mystik und seinem Wunderglauben lenkte und dadurch den 
Sinn für altdeutsche Literatur und Kunst weckte. Die romantischen Dichter sam¬ 
melten Volkslieder, Volkssagen, Legenden und erschlossen ihren Zeitgenossen die 
wunderbare Märchenwelt (Genovesa). Ihrer Verehrung für die Dichter des Mor¬ 
genlandes verdanken wir meisterhafte Übersetzungen. Aber neben ihrem unbestrit¬ 
tenen Nutzen hat die Romantik auch ihre großen Schattenseiten gehabt: das Stre¬ 
ben, die Schönheiten und Vorzüge der Literatur aller Völker in der deutschen Li¬ 
teratur zu vereinigen, führte zu einer unheilvollen Mischung und Prinziplosigkeit. 
— Im Geiste der Romantik dichteten auch W. Müller, Eichendorf, Adalbert v. 
Chamisso (1781—1838) — Schlehmil —, der sich indeß in feinen späteren 
Jahren von der Romantik abwandte. Ein anderer Gegner dieser Richtung 
war August Graf von Platen (1796—1825). 
Als in den Jahren 1813 und 1814 das deutsche Volk sich gegen die stanz. 
Gewaltherrschaft erhob, traten eine Anzahl Dichter auf, welche das Feuer der 
kriegerischen Begeisterung nach Kräften schürten und ihre Mitbrüder zu kühnen Tha¬ 
ten entflammten. Solche Freiheitsdichter waren vorzugsweise: Ernst Moritz 
Arndt (geb. am 26. Dez. 1769 zu Schoritz auf Rügen, gest. ant 29. Jan. 1860 
in Bonn). Sein „Lied vom Schill", fein „Katechismus für den deutschen Kriegs- 
und Wehrmann" sprechen nebst seinen übrigen Kriegs- und Wehrliedern („Was ist 
des Deutschen Vaterland?") eine glühende Vaterlandsliebe aus und machen ihn zum 
volkstümlichsten deutschen Dichter. Theodor Körner (1791—1813). Er gab bei 
Beginn der Freiheitskriege seine Stellung als Hoftheaterdichter in Wien auf, um 
sich unter die Lützow'sche Freischaar aufnehmen zu lassen. In „Letjer und Schwert" 
hat er uns einen werthvollen Schah von patriotischen Liedern („Lützow's wilde
	        
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