265
armte und wurde immer abhängiger von den Höfen. Der reiche Bürger
suchte es dem Adel gleichzuthun und kaufte sich um schweres Geld wohl
einen Adelsbrief vom Kaiser. Die Sucht nach Titeln wurde zur
Krankheit, die Scheidung der Rangklassen immer schärfer, die Anreden immer
schwülstiger, die Förmlichkeiten immer steifer. Der Bauer blieb hörig
oder leibeigen und unwissend, that alle Arbeit und zahlte fast alle Steuern.
Das gewerbliche Leben regte sich nur in den Städten. In den
Innungen arteten die alten, ehrenfesten Bräuche nicht selten zu Possen
aus. „Mit Gunst" begannen die Anredeformeln an den „Herrn Vater",
den Meister, und an die „Frau Mutter", die Meisterin. Beleuchtung
der Straßen und Feuerspritzen wurden in einzelnen Städten eingeführt,
Düngerhaufen und frei umherlaufendes Vieh in den Straßen nicht mehr
geduldet und Straßenreinigung, z. B. vom großen Kurfürsten, befohlen.
Die Vergnügungen des städtischen Lebens waren bunte Jahrmärkte,
üppige Schmäuse mit gewaltigem Trinken, allerlei Tänze, auch Masken¬
bälle, Schlittenfahrten, Eisläufen u. dergl. Die Tracht wurde der
französischen nachgeäfft: Puffen an Schultern und Ärmeln, farbige
Streifen an den engen Hosen, Gold- und Silberbesatz an den Röcken
und Wämsern, eine Perücke statt der langen Haare, zierliche Degen in
kostbaren Scheiden, Bandrosetten auf Schuhen und an Kniehosen u. s. w.
Das weibliche Leben bewegte sich in engen Schranken. Wenig
Unterricht, aber viel häusliche Geschäftigkeit, strenge Zucht und wenig
Freiheit hatte die Erziehung der Mädchen. Unfolgsame und verwaiste
wurden in „Zuchthäusern" unter strenge Aufsicht gestellt. Unter viel
Förmlichkeiten wurden die Ehen geschloffen und die Hochzeiten gefeiert.
Brautkleid und Brautschmuck schenkte der Bräutigam. Einladungen zur
Hochzeit ergingen durch Boten oder Briefe. Schmuck und Gang der
Brautjungfern waren durch das Herkommen vorgeschrieben, ebenso die
Gerichte des Hochzeitmahles und die Brautreigen nach dem Mahle. Mit
dem „Kehrab" endete die Feier. Spinnen und Nähen, Sticken und
Stricken, Waschen und Plätten waren die häuslichen Geschäfte, Singen
und „Spinettspielen", Zeichnen und Malen, Putz und Besuche, Stuben¬
vögel und Schoßhündchen die Ergötzungen der Frauen. Die Gewänder und
die Haartrachten wechselten wie die Moden. In das Gesicht wurden Schön-
heitspstästerchen geklebt, die Hände in einen Muff gesteckt. Die Putzsucht
der Frauen war das Ärgernis der strengen Geistlichen, die oft von den
Kanzeln gegen des „Teufels Leimruten", d. h. die Modethörinnen, wetterten.
Das geistige Leben entbehrte der Selbständigkeit und kam wenig
über Nachahmungen des Fremden hinaus.
Malerei, Bildhauerkunst und Kunstgewerbe lagen ebenso
wie die Litteratur im französischen Banne. Der Barockstil mit viel
geschweiften und gebrochenen Linien wurde beim Bauen, das Rokoko
mit seinem bunten Muschelwerk bei der Ausschmückung Mode. Der
schöne Holzschnitt verfiel, der Kupferstich aber nahm von den Nieder¬
landen aus einen Aufschwung.
Das kirchliche Leben war durch das Dogmengezänk der Geist¬
lichen und den Buchstabenglauben der Laien häufig erstarrt und ver-