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Auf betrieb des Generalvikars des Augustinerordens in deut¬
schen Landen, Johanns von Staupitz, der ihn kennen
und schätzen gelernt, vom Kurfürsten Friedrich dem Weisen
1508 an die neu errichtete Universität zu Wittenberg be-isos
rufen, hielt er hier Vorlesungen über Dialektik und Physik,
wandte sich bald zur Theologie, erlernte die biblischen Grund¬
sprachen und wagte auch nach langem Widerstreben zu pre¬
digen, was er mit solchem Beifall that, daß er 1509 zum iM
Prediger an der Schloßkirche gewählt ward. In Geschäften
seines Ordens und als Pilger ging er 1510 nach Rom, wo isio
er als eifriger Katholik Ärgernis nahm an dem leichtsinnigen
Wandel des dasigen Klerus. Im I. 1512 ward er zum 1512
Doktor der heiligen Schrift ernannt, mit deren Auslegung er
sich hauptsächlich beschäftigte. Schon predigte er gegen die
Fabeln der Heiligen und die Werkheiligkeit, aber als ein treuer
Anhänger des Papstes und der Kirche.
2. Segimr der Reformation 1517. 1517
a. Das Ablaßwesen. In den frühesten Zeiten waren
die Kirchenstrafen öffentliche Büßungen, durch welche der wegen
öffentlichen Ärgernisses aus der Kirchengemeinschaft ausge¬
schlossene Sünder die Aufrichtigkeit seiner Rene bekunden sollte.
Auf der allgemeinen Kirchenversammlung zu Nicäa (325)
erhielten die Bischöfe das Recht, Büßenden bei nachweislich
ernstlicher Reue einen Teil ihrer Bußzeit nachzulassen (abzu¬
lassen , Ablaß, doch erscheint dieser Name [indulgentia] erst
im Ilten Jahrhundert). Als Zeichen der Reue galten schon
frühzeitig sogenannte gute Werfe, als Gebet, Fasten, Almosen,
Wallfahrten n. s. w. Diese freiwilligen Zeichen bußfertigen
Sinnes wurden aber bald die Kirchenstrafen selbst, die die
Priester dem Sünder statt der öffentlichen Buße auferlegten,
so daß die guten Werke nun als förmliche Genugthuung oder
„Satisfaction" für die begangene Schuld galten. Mit dieser
Satisfactionslehre in unmittelbarer Verbindung stand die Ge¬
wohnheit, auserlegte Bußwerke in andere minder drückende
Leistungen umzuwandeln, so z. B. für Fasten Psalmengesang,
auch Geldspenden an Kirchen und Kleriker. Was aber anfangs
als Mißbrauch galt, ward mit der fortschreitenden Veräußer¬
lichung des Kirchentums immermehr zur herrschenden Sitte.
Schenkungen an Kirchen und Klöster wurden immer häufiger
in der Absicht gemacht, dadurch Sünden abzukaufen. Während
der Kreuzzüge wurde außer den Kreuzfahrern selbst auch denen,
welche das heilige Unternehmen durch Geld förderten, für ihre
Person und selbst für bereits schon gestorbene Anverwandte
gänzlicher und teilweiser Erlaß der kanonischen und sogar der
göttlichen Strafen (vollkommener und unvollkommener Ablaß)