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Seine Staatslehre. Die Diadochenzeit.
ausreicht, um die sittliche Welt begreifen zu lassen. Die Befriedigung ist wohl das verstand-
lichste und schmiegsamste Maß der rechten Betätigung, aber doch nicht das endgültige; es
fehlt dem sittlichen Verhalten das höhere, überzeitliche Endziel.
Eine über die Einzelinteressen Hinansliegende Institution erkennt Aristoteles im Staate.
„Der Mensch," sagt er, „ist durch seine Natur auf den Staat hingeordnet." „Vor den andern
Lebewesen hat er das Bewußtsein von Gut und Böse, Recht uud Unrecht und dem, was
damit verwandt ist, voraus; die darauf geheude Gemeinschaft aber begründet Hans und Staat
und der Staat ist von Natur früher als das Haus und als jeder von uns; denn das Ganze
ist notwendig früher als der Teil." Es kommt freilich Aristoteles nicht in den Sinn, die
Entstehung der Gesellschaft naturalistisch zn fassen; er führt den Staat auf die Natur des
Menschen zurück. Derselbe gilt ihm als sittliche Institution; allein es liegt dem Ganzen kein
Vorbild einer höheren Ordnung zngrnnde.
Aristoteles untersucht, welche von den bestehenden Verfassungen die vorzüglichste sei.
Znerst spricht er über die einfachsten und natürlichsten Verhältnisse, welche jeder Vereinigung
zu einem Staate vorausgegaugeu sind und ihr zugrunde liegen, wie z. B. das Verhältnis
zwischen Mann und Frau, Herrn und Diener. Dann führt er die Arten und Abarten der
Verfassungen an, gibt den Grund ihres Verfalls und die Mittel der Erhaltung an und
entwirft zuletzt das Bild eines Staates, welcher ihm nach den Ergebnissen seines Nachdenkens
und seiner Erfahrung als der möglichst gute erscheint. Durch seine Beschreibung der ver¬
schiedenen Verfassungen, sowie durch seine zahlreichen Schriften über die frühereu griechischen
Schriftsteller, namentlich Dichter und Philosophen, wurde er der Begründer der archäologi-
schen, literarhistorischen und philologischen Stndien, welche in der alexandrinischen Periode
auf dieser Gruudlage mit so großem Erfolge weiter geführt wurden.
Der Kellenismus.
Das Ergebnis der von Alexanders Nachfolgern geführten Kämpfe ist die Entstehung
einer Anzahl von Reichen, die nach der Masse ihrer Bevölkerung ungriechisch, nach den Fa-
milien der Herrscher und in ihren Heeren, sowie einer Menge von Ansiedlern griechisch sind.
Zwar waren die Herrschergeschlechter und zum Teil auch die Truppen makedonischer Herkunft,
aber wie schon Philipp und Alexander griechische Könige sein wollten, suchten die neuen Fürsten
die Mittel zn ihrer Befestigung in dem, was der Geist der Griechen in Staat, Wissenschaft
und Kunst geschaffen hatte. Es wurden daher in den Ländern die einheimischen Verhältnisse
in griechische Formen umgeprägt. So entstand eine Zeit des griechischen Lebens, in welcher
sich nicht die hergebrachten Traditionen entwickelten, sondern Eigentümlichkeiten der griechischen
Vorzeit mit Berechnung auf neue und ungriechische Verhältnisse übertragen wurden Die
Länder sind im Kampfe der Diadochen in so raschem Wechsel bald dem einen bald dem
andern als Beute zugefallen, daß kein Widerstand von ihrer Seite die Anstalten zu künst-
licher Staatenbildung hemmte, weil die Bewohner gegen den Wechsel der Herrscher gleich¬
gültig geworden waren und sich mit Bewahrung derjenigen Nationalität begnügten, welche sich
auch unter dem Kommen und Gehen fremder Eroberer bewahren ließ.
Das griechische Leben, soweit es ohne seine natürlich geforderten Bedingungen fort-
bestehen konnte, entwickelte sich ans ausgedehnten fremden Schauplätzen in künstlicher Pflege
weiter, um im Bereiche der großen makedonischen Herrschaft eine Gleichmäßigkeit der Bildung
herbeizuführen, welche ferneren Fortschritten den Weg ebnen sollte. Dieser Charakter der