Full text: Charakterbilder aus der Geschichte der alten und beginnenden neuen Zeit (Bd. 1)

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Qualen der Christen in Smyrna. 
Polykarp, 
Herrlich vor allen Blutzeugen, die unter M. Aurelius kämpften, glänzt der heilige Poly- 
karp, Bischof von Smyrna, wohl der letzte unmittelbare Schüler der Apostel. Sein glor- 
reiches Ende schildert ein Sendschreiben der Kirche von Smyrna an die übrigen christlichen 
Gemeinden. Es ist voll der Kraft und Salbung des Glaubens, welcher, sein Auge unver- 
wandt auf das Himmlische geheftet, durch die Erde als ein Gast hinwandelt, und selbst der 
gelehrte, doch kalte Julius Cäsar Scaliger versichert davon, er kenne in der ganzen Kirchen- 
geschichte nichts, was ihn tiefer rühre; denn er werde durch die Lesung desselben ganz sich 
selbst entrückt. 
Als zu Smyrna öffentliche Spiele gefeiert wurden, ließ Statins Quadratus, Prokonsul 
der Provinz Asien, ohne Zweifel durch das Geschrei des Pöbels veranlaßt, die Christen ins 
Amphitheater führen und setzte neben den Überredungsversuchen alle Werkzeuge der Folter in 
Bewegung, um sie zur Verleugnung ihres Heilandes zu bewegen. Denn dies war der Geist, 
der in den Lieblingsspielen der Heiden wehte, und so nahe war das Amphitheater der Richt- 
statte verwandt oder vielmehr so nahe lag es, Foltern und Hinrichtungen einen Platz unter 
den Spielen des Amphitheaters anzuweisen. Aber vergeblich wurden die Gläubigen bis zur 
Entblößung der Pulse gegeißelt, auf den scharfen Scherben der Purpurmuschel gewälzt, der 
Flamme und den Zähnen der wilden Tiere überliefert; denn sie verachteten die irdischen 
Pcmen, welche dem standhaften Dulder in einer Stunde den Ort ewiger Freude öffneten. 
Kühl schien ihnen das Feuer der erbarmungslosen Folterer; denn vor dem Sinne schwebten 
ihnen die ewigen unsichtbaren Flammen, denen sie entrannen, und mit den Augen des Her- 
zens schauten sie jene Güter, welche dem ausharrenden Kämpfer bewahrt bleiben, wie sie 
kein Ohr vernommen, kein Auge geschaut, keines Menschen Herz empfunden hat, welche jenen, 
die nicht mehr Menschen, sondern schon Engel waren, von dem Herrn bereitet wurden. Dem 
Phrygier Quiutus, welcher der Mahnung des Evangeliums zuwider sich selbst angegeben 
hatte, wurde die Krone entzogen. Da die wilden Tiere schnaubend den Rachen wider ihn 
aufsperrten, verlor er den Mut und opferte den Götzen. 
Um so höher glänzte die unbezwingliche Standhaftigkeit des Jünglings Germanicus. 
Als der Prokonsul große Mühe anwandte, um ihn zum Abfalle zu bewegen, reizte er selbst 
ein wildes Tier gegen sich an, um sich dem Frevel und der Ungerechtigkeit der Verfolger um 
so schneller zu entziehen. Voll Grimm und Staunen begann das Volk seine Mordlust 
nun wider den zu richten, welcher den Christen so unerschütterlichen Mut eingeflößt hatte, 
und rief mit wildem Geschrei: „Hinweg mit den Gottlosen! Polykarp werde aufgesucht!" 
Jetzt entwich der Greis, von den Bitten seiner Freunde bewogen, auf ein nahes Landgut 
und blieb dort einige Tage verborgen. In einem Traumgesichte sah er sein Kopfkissen ver- 
brennen; da sprach er weissagend zu seinen Begleitern: „Ich soll lebendig verbrannt werden." 
Am folgenden Abende entdeckten ihn die ausgefandten Späher und drangen in den Hof des 
Hauses. Als er das Geräusch der Nahenden vernahm, stieg er von dem obern Gemache, 
wo er eben verweilte, herab und ging ihnen entgegen, begrüßte sie freundlich und befahl, 
ihnen Speise und Trank vorzusetzen. Hierauf betete er zwei Stunden lang, so daß alle 
seine Freudigkeit und Sanftmut bewunderten. Er gedachte in seinem Gebete aller, mit 
welchen er je zusammengetroffen war, der Geringen und Hohen, der Berühmten und Un-- 
berühmten und der gesamten katholischen Kirche auf der Erde; dann folgte er den Häschern 
und wurde ins Amphitheater geführt.
	        
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