Dritte Periode. Vom Beginn der französischen Revolution :c. 237
zeigte aber dadurch nur, wie viel zu einer konstitutionellen Volks¬
vertretung fehle, und wurde, als er'Forderungen erhob, in Ungnaden
geschlossen. Hochbegabt, aber ohne Charakterfestigkeit, reformbegierig,
aber phantastisch für mittelalterliche Anschauungen schwärmend,
begeistert für Deutschlands Einheit, aber ein abgesagter Feind des
Liberalismus, reizte der König den Geist der Nation mächtig an,
ohne ihm doch ein Feld zur Bethätigung seiner Kraft zu gewähren.
Die deutsch-nationalen Ideen, auch durch die politische Lyrik belebt,
gewannen au Stärke. Der offene Brief des kinderlosen Königs
Christian VIII. von Dänemark, welcher mit direkter Ber- [8, Juli 1846
letzung der den Herzogtümern Schleswig-Holstein verbrieften Rechte,
um den Gesamtbestand der Monarchie zu retten, die in Dänemark
geltende Erbfolge auch auf diese ausdehnte, erfüllte jedes deutsche
Herz mit Scham und Schmerz über die Schwäche der Vielstaaterei
und rief eine tiefe nationale Aufregung hervor.
Ausgeschlossen vom praktischen Staatsleben, warf sich die
Opposition um so lebhafter auf das kirchliche Gebiet. Seit den
Freiheitskriegen hatte sich in der protestantischen Kirche an Stelle
des ausgelebten Nationalismus ein frischerer Geist zu regen begonnen,
auch der 1832 gegründete Gustav-Adolfsverein trug zur Belebung
des kirchlichen Gemeingefühls bei. Dagegen rief die von Friedrich
Wilhelm IV. ausschließlich beschützte und begünstigte Strenggläubigkeit
um so heftigere Opposition hervor, in je schrofferem Gegensatze sie
nicht bloß zur protestantischen Wissenschaft, sondern auch zur ganzen
Zeitbildung stand; einzelne freie Gemeinden trennten sich sogar von
der herrschenden Kirche. Die katholische Kirche beeilte sich der König
durch Freilassung und Wiedereinsetzung der beiden gefangenen Erz¬
bischöfe, selbst durch Einräumung wichtiger Rechte, zu versöhnen.
Als dieselbe aber ihren Triumph über den Staat durch die Aus¬
stellung des heiligen Rockes zu Trier feierte und viele Tausende zu
diesem wallfahrteteu, gab der entrüstete Brief des schlesischen Priesters
Joh.Ronge den Anstoß zur Entstehung des Deutschkatholicismus,
der, anfangs mit großen Hoffnungen begrüßt, doch keine erfüllte
und, ohne wirkliche religiöse Lebenskraft, mehr eine Zuflucht des
politischen Mißvergnügens blieb.
§ 124. Kultnrverhältnisse. Nicht bloß diese einzelnen
Erscheinungen sondern der gesamte Stand der Bildung, welche seit
der Mitte des 18. Jahrhunderts in staunenswertem Fortschritte be¬
griffen war, machte die Fortdauer des patriarchalischen Regiments
unmöglich. Seit Kant war der wissenschaftlich maßgebende Teil