Full text: Zeit- und Lebensbilder aus der alten Geschichte

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4. Die Religion. Die Ägypter verehrten viele Götter, besonders den 
Sonnengott ^Osiris (ober Ra) und seine Gemahlin, die Mondgöttin Isis. 
/Osiris, die schaffende Naturkraft, wird von Typhon, dem versengenden 
Glutwinde der Wüste, erschlagen und in den Nil versenkt. Isis sucht ihn, 
bis Osiris von seinem Scheintode wieder aufersteht und die Erde zu neuem 
Leben ruft.) Sein Sinnbild und Wohnsitz war der schwarze Stier Apis 
mit einem iveißen Dreieck auf der Stirn, der im Tempel zu MemphisUm 
Priestern knieend aus goldenen Schüsseln gefüttert und bei seinem Tode vom 
ganzen Lande betrauert wurde. Hatten aber die Priester einen neuen ge¬ 
funden, so feierte man allerorten Freudenfeste. Der Kälberdienst des Volkes 
Israel in der Wüste und zu Bethel und Dan war ein Abbild des ägyptischen 
Stierdienstes. In ähnlicher Weise wurden noch viele andere Tiere heilig 
gehalten, wie z. B. Krokodile, Katzen, Hunde und Sperber. Wer absichtlich 
eins dieser Tiere tötete, wurde gleich einem Mörder mit dem Tode bestraft; 
denn sie glaubten, daß in den Tieren mächtige Wesen wohnten, welche sich 
dann für die ungefühnte Übelthat am ganzen Volke furchtbar rächen würden. 
Der Totendienst stand in hoher Blüte. Nach ihrer Ansicht lebte 
die Seele nur solange fort, als der Leichnam wohl erhalten blieb. Um 
die Leichname vor der Verwesung zu schützen, wurden sie sorgfältig ein¬ 
balsamiert, d. H. mit Asphalt (Mutn) und wohlriechenden Harzen getränkt, 
mit vielen Binden umwickelt und in den reich ausgestatteten, vor Raubtieren 
und Frevlern sorgsam verwahrten Totenkammern aufrecht hingestellt, wo sie 
zu Mumien versteinerten, die sich bis heute gut erhalten haben. 
Die Seele wanderte 3000 Jahre lang durch allerhand Tiere, bis sie 
wieder in den früheren Leib zurückkehrt. Ein ehrliches Begräbnis erhielt 
mir der, welchen die 40 Totenrichter für unschuldig erklärten. Im Jen¬ 
seits wog Osiris mit feinen Richtern die Seele auf der Wage der Gerechtig¬ 
keit und bestimmte ihr Los. Während die Reinen in die seligen Gefilde 
des Sonnengottes eingingen, mußten nach dem späteren Glauben die Un¬ 
reinen zu ihrer Läuterung und Strafe lange Wanderungen durch Tiere 
u. s. w. machen. Daher führten die Ägypter ein einfaches, ehrbares und 
sittsames Leben. Häufig besuchte der fromme Ägypter die Grabkammern 
und versorgte die Seelen seiner Lieben mit Speise und Trank, wie er den 
'Göttern ebenfalls kostbare Lebensmittel und Schmuck darbrachte und ihnen 
wohlriechenden Weihrauch opferte. Aber kein Unreiner durfte sich den Göttern 
nahen, weil er nur deren Zorn und Rache erwecken würde. 
Der ägyptische Götter- und Geisterdienst ist ein Abbild der ältesten 
Religionsgeschichte der Menschheit. Zuerst verehrten die Urmenschen 
nur die Toten und die Geister der Verstorbenen, die sie noch mit Speise 
und Trank versorgten und so pflegten (Kultus-Pflege). Es entstand so 
der Toten-, Gräber- und Geisterdienst. Die größte Verehrung genossen die 
Geister der Häuptlinge und Könige; es war dies der Ahnen- und Herrendienst. 
Da viele Tiere Leichname von Menschen verzehren, nahmen sie nach dem 
urntenschlichen Glauben auch deren Seelen in sich aus; diese Tiere, in denen 
Menschenseelen wohnten, wurden nun gleichfalls verehrt, woraus der Tier- 
dienst hervorging. Ebenso konnten die Geister auch tu allen anderen 
Gegenständen ihren Wohnsitz aufschlagen, wie z. B. in den Bäumen, unter 
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