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über die Vorzüge ihrer Gatten in einen unglückseligen Streit, der
sich dann über den Vortritt beim Kirchengang erneuerte. Bei dieser
Gelegenheit verriet die erzürnte Kriemhild der Brunhild, daß
sie nicht von Günther, sondern von Siegfried besiegt worden sei.
Voll Wut über diesen Spott und diesen Betrug sann Brunhild auf
die furchtbarste Rache. Sie grämte sich, klagte uud jammerte. So
fand sie der Recken Hagen und erfuhr von ihr noch genauer den
Grund des Leides. Hagen wußte seine Herrin beleidigt, beleidigt von
einem Manne, dem er von nun an nach dem Leben trachtete.
Unter dem Vorwande, Siegfried auf einer bevorstehenden Heer¬
fahrt gegen deu Feind zu schützen, entlockte Hagen der arglosen
Kriemhild das Geheimnis 'der einzigen verwundbaren Stelle ihres
Gatten zwischen den Schulteru. Die zärtliche Frau ließ sich bethören
und nähte sogar mit eigener Hand ein rotes Krenzchen über das
Plätzchen in Siegfrieds Kleid. Statt der Heerfahrt wurde nun eine
große Bären- uud Eberjagd im Walde zwischen Worms und der
Bergstraße gehalten. Als Siegfried recht durstig sich nach einer Quelle
bückte, stieß ihm der Mörder Hagen eine Lanze an dem roten
Krenzchen in den Rücken. „D ihr feigen Mörder," rief der sterbende
Held, „diese That wird euch ewige Schande bringen!"
Man hob die Leiche auf und trug sie auf einem Schilde
zurück. Der grimme Hagen rühmte sich öffentlich der That und ließ
den Ermordeten in der Nacht vor Kriemhildens Thürschwelle legen.
Kriemhilde, an ihrem Liebsten und Heiligsten so furchtbar gekränkt,
sann auf blutige Rache. Zur Versöhnung der Schwester ließen die
Brüder den Nibelungenhort nach Worms bringen. Der mi߬
trauische Hagen aber versenkte ihn in den Rhein, um Kriemhild die
Mittel zur Rache zu verkleinern.
Noch über zwölf Jahre blieb Kriemhild in Worms. Während
dieser Zeit hegte sie in ihrem Herzen immer und immer den Gedanken
der Rache, ohne daß sie Gelegenheit fand, denselben auszuführen.
Da ließ der Hunnenkönig Etzel durch den Markgrafen Rüdiger
von Bechlaru um ihre Hand werben. Kriemhilde widerstrebte lange.
„Weinen gezieme ihr," sagte sie, „und anderes nicht." Erst als
Rüdiger heimlich mit ihr sprach und ihr schwur mit all seinen
Mannen, jedes Leid, das ihr widerfahren, zu rächen, hoffte sie noch
Rache für Siegfrieds Tod und reichte ihre Hand dar. Ihr Weg