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der Königskinder merkte. Umsonst forschten am nächsten
Morgen der Vater und die grausame Stiefmutter
nach den Entflohenen und konnten ihr spurloses Ver¬
schwinden nicht begreifen. Da dachten sie wohl, daß
die Hand der Götter eingegriffen habe, und der
bösen Königin pochte das Herz aus Angst vor der
verdienten göttlichen Strafe, von der sie auch nicht
verschont blieb.
Unterdessen sauste der goldene Widder mit Phrixos
und Helle über Berg und Thal durch die Lüfte, wie
der Adler zwischen Himmel und Erde dahinfährt.
Leicht und sicher trug er das jugendliche Reiterpaar
über weite Strecken des griechischen Landes; als er
aber an die Meerenge gelangt war, die Europa von
Asien trennt, und über die tiefe, glänzende Wasserfläche
hinschwebte, da wurde Helle vom Schwindel befallen,
stürzte von dem Rücken des Tieres herab und ertrank
in dem Meere, das nach ihr Hellespontos d. i. Meer
der Helle genannt wurde. Phrixos jedoch ritt fort
und fort und gelangte endlich nach dem fernen Lande
Kolch is am Ostufer des schwarzen Meeres.
Hier wurde er von dem Könige Äetes gast¬
freundlich aufgenommen und vermählte sich später mit
einer Tochter des Königs. Den goldwolligen Widder
opferte er dem Zeus zum Dank für seine Rettung,
das Vlies schenkte er dem Äetes. Dieser hängte es
in einem Haine, der dem Kriegsgotte Ares geheiligt
war, an einem Eichbaum auf und ließ es von einem
feuerschnaubenden, nie schlafenden Drachen bewachen.