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selige Jungfrau mit mehreren ihrer lieben Gespielinnen
an das Meeresgestade hinausgegangen, um dort auf
den frisch grünenden Wiesen duftige Blumen zu
Pflücken und sich au dem Spiele der klaren Wellen
zu ergötzen, die mit sanftem Plätschern über die glatten
Kiesel am Ufer rollten.
Schon hatten die fröhlichen Mädchen volle Sträuße
von Hyacinthen uud Veilchen, von Narcissen und
Rosen eingesammelt und sich eben auf einem Rasen¬
hügel niedergesetzt, um die bunte Älütenpracht in
zierliche Kränze zu flechten: da wurden sie plötzlich
durch eine unerwartete Erscheinung aus ihrem sorg¬
losen Geplauder aufgeschreckt. Ein Stier, der sich,
wie es schien, von einer in der Ferne weidenden
Rinderherde verirrt hatte, kam über die blumige Au
gerade auf die kranzwindenden Jungfrauen zugeschritten.
Es war ein wunderschönes Tier von schneeweißer
Farbe; prachtvolle Hörner, so durchsichtig wie klare
Juwelen, krümmten sich ihm über der breitgewölbten
Stirn. Und weil seine Angen so fromm blickten und
seine Haltung so sanft und friedlich war, als sei er
seit lange gewohnt, sich dem Willen des Menschen zu
fügen, so schwand bald die anfängliche Furcht der
Mädchen: sie traten dem Stier näher und näher,
tanzten um ihn her und streichelten ihn, Europa
legte ihm den frischen Blumenkranz, den sie geflochten,
um das schöngeformte Gehörn. Dieser Schmuck schien
dem Stier sehr zu gefallen: mit schmeichelndem Brüllen
streckte er sich vor der Jungfrau nieder und sah, den