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Enryklea kannte diese Narbe, und Odysseus fürchtete,
daß sie ihn jetzt leicht verraten könnte. Darum ließ
er die Wanne von dem Herdfeuer entfernt in den
Schatten setzen. Aber die Schaffnerin entdeckte dennoch
die Narbe, als sie mit der flachen Hand über die
Stelle fuhr, und ließ vor freudigem Schreck das Bein
des Odysseus in das Gefäß gleiten, daß dieses um¬
fiel und alles Wasser sich über den Boden ergoß.
Das Freudengeschrei, welches sie dann erheben wollte,
unterdrückte Odysseus, indem er ihr rasch die Hand
vor den Mund hielt. „Schweig', Mütterchen," flüsterte
er hastig mit strenger Miene, „niemand im Palaste
darf noch erfahren, daß ich Odysseus bin. Sage
keinem, was du jetzt entdeckt hast, wenn dir dein
Leben lieb ist!"
Die Alte versprach es und sorgte dann für ein
neues Bad. Penelope aber ging, nachdem der Gast
sie noch weiter getröstet hatte, von den Dienerinnen
begleitet, in ihre Kammer hinauf, wo ihr endlich ein
süßer Schlummer die Augen schloß.
Odysseus nahm sein Nachtlager auf einer Stier¬
haut, die er auf dem Fußboden des Saales aus¬
breitete. Das gefahrvolle Werk, als ein einzelner
die zahllose Schar der schamlosen Freier zu über¬
wältigen, beschäftigte aber seine Gedanken so sehr,
daß er lange keinen Schlaf finden konnte. Endlich
erschien ihm seine Schützerin, die Göttin Pallas Athene,
und sprach dem bekümmerten Manne Trost und Mut
ins Herz.