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gastfreundlichen Heldensitte der alten Zeit, den edlen
Fremdling sehr ehrenvoll, ohne ihn erst zu fragen,
wer er sei und woher er komme. Neun Tage lang
bewirtete er ihn festlich: jeden Morgen opferte er
einen fetten Stier, und eine fröhliche Schmauserei
folgte der andern. Während dieser Zeit gewann der
König den schönen und wackern Jüngling lieb, und
am zehnten Tage fragte er ihn nach seinem Namen
und in welcher Absicht er gekommen sei. Da über¬
reichte ihm Bellerophontes das verschlossene Täfelchen.
Jobates erschrak über den blutigen Auftrag, den ihm
sein Eidam übersandte; auch er konnte sich nicht ent¬
schließen, den Fremdling, der ihm so lange ein werter
Gast gewesen, geradezu ums Leben zu bringen. Doch
glaubte er, derselbe müsse sich eines todeswürdigen
Verbrechens schuldig gemacht haben; darum legte er
ihm Kämpfe auf, die ihm, so schien es, notwendig
den Untergang bereiten mußten.
Zuerst sandte er ihn aus, die Chimära zu er¬
legen, ein furchtbares, feuerschnaubendes Ungeheuer,
vorn ein Löwe, hinten ein Drache, in der Mitte eine
wilde Bergziege. Die Götter liehen dem Helden ihren
Beistand bei dem gefahrvollen Werk, indem sie ihm
dos unsterbliche Flügelroß Pegäsos vom Olympos
herabsandten, das aus dem Rumpfe der von Perseus
getöteten Medusa*) entsprungen war. Nie hatte das
Wunderpferd einen menschlichen Reiter getragen, nie
hatte es sich einfangen und bändigen lassen. Aber
*) S. die Erzählung Nr. 6, 2.