Das neue ^Deutsche Reich und Europa. §§ *250—253.
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dieses Krieges lag aber nicht in den unvergleichlichen Siegen und allem
Gewinn an Land und Ruhm, den sie gebracht hatten, sondern in der
endgültigen Einigung Deutschlands. Schon im November 1870 hatten
sich die vier süddeutschen Staaten in den Versailler Verträgen an
den Norddeutschen Bund angeschlossen, und am 18. Januar 1871, dem
Gedenktage der Stiftung des preußischen Königstums, erfolgte in dem
stolzen Palast Ludwigs XIV. zu Versailles die feierliche Verkündigung,
daß König Wilhelm von Preußen auf den Wunsch der deutschen
Fürsten und freien Städte die erbliche deutsche Kaiserwürde über¬
nehme. Im Sieges; und Ehrenkranze kehrte der Herrscher am 17. März
1871 in seine Residenz zurück, die ihn mit herzlicher Liebe empfing. Wenig
mehr als ein halbes Zahr war vergangen, seitdem er als König hinaus¬
gezogen war in einen Kampf, dessen Ausgang niemand vorhersagen
konnte: als Kaiser kam er wieder.
E. Das Deutsche Reich unter den Kaisern Wilhelm IM
Friedrich und Wilhelm II.
§ 251. Das Deutsche Reich nab ber Friede. Durch blutige
Kämpfe hatte Deutschland seine Einheit erringen müssen, aber Kaiser
Wilhelm war kein Eroberer: sein sehnlichster Wunsch war es, daß ihm
Gott verleihen möge „allzeit Mehrer des Reichs zu sein an den Gütern
des Friedens, auf dem Gebiete nationaler Wohlfahrt, Freiheit und Ge¬
sittung". In den siebzehn Jahren, die Gott ihn seinem Reiche noch er¬
halten hat, ist Wahrung des Friedens überall auf der Erde das Ziel der
deutschen Staatskunst gewesen. Leicht war die Aufgabe nicht, die sich
Kaiser Wilhelm und sein großer Kanzler, Fürst Bismarck, gestellt hatten,
aber sie ist gelöst worden.
§ 252. Deutschland und Frankreich. Am schwierigsten war
die Stellung zu der französischen Republik. Die Eitelkeit unserer
Nachbarn im Westen war zu tief verletzt durch all die Schläge und Ver¬
luste, die sie erlitten hatten. Statt daß eine allmähliche Aussöhnung
eingetreten wäre, nahm der Haß der Franzosen gegen die Deutschen eher
noch zu. Nur die maßvolle Festigkeit, der ruhige Ernst unserer Staats¬
leitung vermochten es, solchem Gebaren gegenüber den Frieden zu er¬
halten. Freilich zwangen die unaufhörlichen Rüstungen Frankreichs auch
Deutschland zu immer neuer Vermehrung seiner Kriegsmacht. Frankreich
sollte sehen, daß das Deutsche Reich entschlossen sei, zu bewahren, was
es mit dem Blute seiner Tapferen erkämpft hatte, aber es konnte auch
erkennen, daß Deutschland keine Händel suchte. Es brauchte nur ernstlich
Frieden mit uns zu wollen — und dieser war ihm sicher.
§ 253. Deutschlands Beziehungen zu Österreich, Nußland
und Italien. Mit Österreich söhnte sich Deutschland vollständig aus,
1871,
18. Januar.