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widerstrebenden Reichstage und mahnte wehmütig: „Ich werbe mcht
oft mehr zu Ihnen sprechen. Ich bin matt, aber tch lege Anen
ans Herz, feien Sie einig." Manchmal würbe er lieber Feier¬
abend gemacht als noch weiter gearbeitet haben, aber er hatte es
feinem alten Herrn gelobt, ihm bienen zu wollen bis an fern Lebens-
enbe, nnb so lange biefer noch feine Zeit fanb, müde zu fein, durfte
auch er bie Hände nicht in den Schoß legen. Wie ein Wachter
stand er darum stets auf der Zinne der neuen deutschen Burg und
hatte ein scharfes Auge auf alles, was drinnen im Reiche und außen
um dasselbe vorging. Und als uns einst neidische Nachbarn durch
Drohungen schrecken wollten, da sprach er, baß es weit hinaus
schallte: „Wir können burch Liebe unb Wohlwollen leicht bestochen
werden, aber durch Drohungen ganz gewiß nicht. Wir Deutsche
fürchten Gott, aber sonst nichts auf ber Welt".
5 Der schwerste Tag in Bismarcks Leben war Kaiser Wilhelms
Tobestag. Mit Thränen stctnb er am Totenbette, mit zitternder
Stimme verkünbete er bem Reichstage bes Kaisers Heimgang unb
mahnte aufs neue: „Die Liebe zum SSaterlanbe, bie in unserm
bahingefchiebenen Herrn verkörpert war, möge sie ein unzerstörbares
Erbteil unserer Nation fein!" Mit banger Erwartung harrten alle
Deutschen ber Dinge, bie ba kommen sollten. Da schrieb Kaiser
Friebrich an Bismarck: „Mein lieber Fürst! Bei meinem Regierungs¬
antritte ist es mir ein Bebürfnis, mich an Sie, ben langjährigen,
vielbewährten Diener meines in Gott ruhenden Herrn Katers zu
wenben. Sie ftnb ber treue unb mutvolle Ratgeber gewesen, ber ben
Zielen feiner Politik bie Form gegeben unb bereu erfolgreiche Aus¬
führung gesichert hat. Ihnen bin ich unb bleibt mein Haus zu
warmem Danke verpflichtet." Alle ängstlichen Gemüter waren beruhigt.
Unb als brei Monate später Wilhelm II. ben Thron feiner Väter be¬
stieg, ba bat auch er ben großen Kanzler recht aufrichtig und innig,
ihm treu zur Seite zu stehen, und Bismarck gab die Versicherung,
bis zum letzten Atemzüge nicht von des Kaisers Seite weichen zu
wollen. So war Hoffnung, daß trotz allen Wechsels der alte Kurs
doch beibehalten werden würde. Es sollte anders kommen. Zwei Jahre
später hatten sich die Dinge schon so geändert, daß der Kaiser eines
Tages Bismarcks Entlasiungsgefuch erwartete. Bismarck hielt es für
eine Gewissenlosigkeit, fahnenflüchtig zu werden, und ber Kaiser klagte:
„Mir ist so weh, als hätte ich noch einmal meinen Großvater ver¬
loren. Aber von Gott Bestimmtes ist zu ertragen, auch wenn man
barüber zu Grunbe gehen sollte." Das Schicksal ging feinen Gang;
Bismarck verließ Berlin nnb bas ihm lieb geworbene Amt unb weilt
feitbem einsam zu Friedrichsruh im Sachfenwalbe. So lange es bank¬
bare Deutsche giebt, wirb er nicht vergessen werden.