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wohnlich früher und strenger Winter trat ein und überraschte die
Feinde auf ihrem kläglichen Rückzüge. Menschen und Pferde sanken
von Kälte und Hunger erschöpft dahin, und wie mit einem Leichen¬
tuche bedeckte der Schnee die gefallenen Opfer. Tausende von Nach¬
züglern fielen unter den Lanzen der nachsetzenden Kosaken, unter
den Keulen der ergrimmten Bauern. Am gräßlichsten war das Un¬
glück an der Beresina. Während die Franzosen, von den'Rufsen
auf's Hitzigste verfolgt, athemlos im wilden Gedränge durch- und
übereinander über die Brücke setzten, brach diese krachend zusammen.
Tausende fanden ihren Tod in dem Strome; und alle noch übrigen
Truppen am jenseitigen Ufer waren abgeschnitten und gefangen.
Ueber 30,000 Mann verloren die Franzosen bei diesem Uebergange
am 27. November. Wie XerxeS einst, der Führer von Millionen,
aus Griechenland fliehend, in einem Kahne in seinem Asien wieder
anlangte; so durchjagte jetzt Napoleon in einem elenden Schlitten,
den Trümmern seines Heeres voraus, die öden Schnee- und Eis¬
felder Rußlands, um aus seinem Reiche schnell ein neues Heer her¬
anzuholen. Seitdem wich alle Zucht und Ordnung, und das Elend
der Franzosen überstieg jedes Maß. Soldaten von allen Regimen¬
tern liefen wild durch einander. Die wenigsten Reiter hatten noch
Pferde, vielen fehlte es sogar an Schuhen, und sie umwickelten kläg¬
lich die Füße mit abgerissenem Tuche. Dazu wüthete der Hunger
so entsetzlich, daß selbst Pferde mit Gier verzehrt wurden. Wie
Todesgestalten wanderten die Soldaten über die Schnee- und Eis¬
felder dahin. Ganze Wolken von Kosaken zogen hinter ihnen her.
Nirgends Ruhe! Nirgends Rast! Kaum hatten die Müden ein
Feuer angemacht und sich um dasselbe gelagert; augenblicklich stöberte
sie wieder das Hurrah der Kosaken auf. Der bloße Ruf „Kosaken!"
setzte ganze Haufen in schnellen Trab. Wen die Kraft zum Fliehen
verließ, der streckte vergebens die Hände nach den athemlos Vorüber¬
eilenden aus. Betäubt vor Kälte wanderten viele wie wahnsinnig
mitten in die angezündeten Feuer. Oft fanden die Russen des
Morgens um die erloschenen Wachtfeuer schauerliche Todtenver-
sammlungen. So kläglich endete das große, in so stolzer Hoffnung
hinaufgezogene Heer, und nur wenige sahen ihre Heimath wieder.
Moskau war der Scheiterhaufen der Macht und der Größe Napo¬
leon'-. Jene sechs verhängnißvollen Monate hatten über 300,000