266 HO. Reichskanzler Fürst Bismarck und Generalfeldmarschall Moltke.
Fenstern. Ein besonderer Jubel brach immer aus, wenn auch der
älteste Urenkel des Kaisers, unser jetziger Kronprinz, mit am Fenster
, erschien und fröhlich nach der Musik an die Scheiben trommelte. Am
letzten Sonntag, da der Kaiser sich am Fenster zeigte, standen vor ihm
drei Urenkel und daneben, mit dem vierten auf dem Arme, die glück-
liche Mutter, unsere jetzige Kaiserin. Es war ein Anblick, bei dem
vielen die Tränen kamen. Als der Kaiser seinen 90. Geburtstag feierte,
da wurde dieser Tag auf der ganzen Erde, wo es nur Deutsche gab, mit
unbeschreiblicher Begeisterung gefeiert. 85 fürstliche Personen erschienen
in Berlin, um Glückwünsche zu überbringen; alle europäischen Staaten
waren vertreten. Es war dies des Kaisers letzter Geburtstag.
5. Tod. Anfang März 1888 erkrankte Kaiser Wilhelm, und bald
sah man, daß es zu Ende gehe. Die ganze kaiserliche Familie sammelte
sich um ihn. Der Kaiser hatte noch ernste Unterredungen mit dem
Prinzen Wilhelm und Fürst Bismarck. Als seine Tochter, die Groß.
Herzogin von Baden, ihn bat, sich nicht durch Sprechen zu ermüden,
erwiderte er: „Ich habe nicht Zeit, müde zu sein." Der Hofprediger
betete ihm die Simeonsworte vor; da sprach der Sterbende ihm nach:
„Meine Augen haben deinen Heiland gesehen," und setzte kurz darauf
hinzu: „Ec hat mir mit seinem Namen geholfen." Am Morgen des
9. März verschied er; sein letzter Blick galt der Kaiserin, die an seinem
Bette saß und seine Hand hielt. Der Prediger segnete den Sterbenden
mit den Worten: „Der Herr behüte deinen Ausgang und Eingang von
nun an bis in Ewigkeit. Ziehe hin in Frieden!" Dann sanken alle
betend auf die Kniee. Unbeschreiblich war die Trauer des deutschen
Volkes. Ein Leichenzug, wie ihn die Welt noch nicht gesehen, brachte
die teure Leiche nach dem Mausoleum in Charlottenburg. Dort
ruht der Begründer des Deutschen Reichs an der Seite seiner edlen
Eltern.
110. Reichskanzler Fürst Lismarck und General-
felbmotscholl Moltke, ;roci treue Diener Kaiser WilhelmsI.
a. Bismarck.
1. Lehr- und Wanderjahre. Otto von Bismarck wurde am
1. April 1815 zu Schönhausen in der Provinz Sachsen geboren. Seine
Schulbildung erhielt er auf einem Gymnasium in Berlin; in Göttingen
studierte er Rechtswissenschaft und trat dann in den Dienst des Gerichts.
Die Richterlaufbahn gefiel ihm aber nicht; er wurde Landwirt und
übernahm nach seines Vaters Tode die Bewirtschaftung der Güter
Kniephof und Schönhausen. Vom Landtage der Provinz Sachsen wurde
er als Abgeordneter für den ersten vereinigten Landtag 1847 nach Berlin
gesandt. Hier und im folgenden Jahre in der preußischen National¬
versammlung erregte er bereits Aufmerksamkeit durch sein unerschrockenes
Eintreten für die Rechte des Königs. Friedrich Wilhelm IV. hielt ihn
daher für besonders geeignet, Preußen auf dem Bundestage in Frank-